Chillada in Keulen

Im Gespräch

Herr Chillida, Sie sind Bildhauer und Zeichner. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Medien?

Eduardo Chillida: Nun, ich zeichne viel, sehr viel. Ich zeichne eigentlich immer. Die Zeichnung ist der Beginn eines Weges zu einem Werk. Sie ist der erste Versuch, mit etwas Unbekanntem zu kommunizieren, von dem man anfangs nur eine vage Form-Idee hat.

Friedhelm Mennekes: Die Zeichnung als der Eintritt in die Kreation?

E.C: Sie haben zuerst ein Empfinden von etwas. Es besitzt nur vage Umrisse. Diese können sich ständig verändern. Aber das Empfinden markiert eine Art Zielpunkt, zu dem man aufbrechen muss und den man möglicherweise irgendwann einmal erreichen kann.

F.M.: Ist es diese vage Form, die Sie in der Zeichnung festzuhalten suchen?

E. C.: Nein, ich suche meine Ideen nicht in der Zeichnung zu fixieren, vielmehr mochte ich ihren geistigen Charakter berühren und ihre Ausstrahlung empfinden…

F.M.: … im ständigen Dialog zwischen der geistigen und seiner materiellen Realisation?

E.C: Ja sicher. Ich nehme einen Bleistift, ich nehme ein Stuck Papier. Aber damit allein weiß ich noch nicht, was ich entdecken soll. Zu den materiellen Faktoren müssen die geistigen hinzutreten. Das sind zusammen also drei Elemente. Diese müssen alle in eine gute Relation zueinander gebracht werden. Erst die Zeichnung, die eine Idee fasst, kann zeigen, wovon der Künstler berührt und motiviert worden ist.

F.M.: Und alles das kommt in der ersten Linie zusammen?

E.C.: Die Linie ist sehr bedeutsam. Sie ist der Ursprung aller Bewegung. Sie ist ebenso Zeit. Die Linie ist etwas, das mit der Zeit lauft.

F.M.: Nehmen die Skulpturen ihren Ausgang auch von dieser Art Zeichnung?

E.C: Das Erste ist immer die Idee, die einem im Kopfe steckt. Es ist wie die Erinnerung an etwas/ das ich bislang noch nicht realisiert hatte. Manchmal aber vergesse ich sofort die Zeichnung, weil mich die Idee in die Dreidimensionalität geführt hat. Dann verfolge ich nichts als die Idee.

F.M.: Aber ist dann die Zeichnung überhaupt nötig?

E.C: Ja, denn sie hilft mir, mit einer Idee zu kommunizieren. Dabei geht
es nicht unbedingt darum, eine bestimmte Form zu finden, sondern vor
allem darum, ihren Geist zu berühren. Wenn der innerlich geschaut ist,
kann ich die Form vergessen, denn dann kann alles andere van allein
gehen.
F.M.: Was kann ich unter dem Geist einer Idee verstehen?

E.C: Der Geist eines Werkes steckt im Empfinden, das man bei Beginn
einer Arbeit hat. Ich erkenne ihn, bevor ich um seine Form weiß.

F.M.: Ist es wie eine Art Reflexion, eine Konzentration, die hilft, dass eine
Projektion hervortreten kann?

E.C.: Ja, sie ermöglicht mir die Projektion des Werkes. Das Ergebnis ist,
dass ich die Bedeutung eines Werkes kenne, ohne dass ich dabei schon
um seine Form weiß.

F.M.: Und das ist dann die innere Idee eines Werkes?

E.C: Seine Bedeutung.

F.M: In einem weiteren Stadium kommt es dann zu seiner Erschaffung?

E.C: Erst kommt der Kontakt mit dem Geist eines Werkes. Das hat mit seiner Form noch nichts zu tun. Die Form kommt erst zum Schluss. Die Form ist das Ende dieses Prozesses. Und doch sind Form und Geist in einer gewissen Weise von Anfang an ‘kon-form’.
Die Form eines Werkes existiert zwar umrisshaft, doch kommuniziere
ich nicht mit dem Werk auf der Formebene. Wenn ich zeichne oder arbeite, dann strebe ich immer nur nach einem Kontakt mit dem Geist des Werkes/ und aus dieser Verbindung heraus suche ich dann am Ende seine Form zu bestimmen.

F.M.: Können Sie diese Idee auch in einem anderen kulturellen Medium erfassen, z.B. in der Musik?

E.C.: Lassen Sie mich das mit einer Begegnung beantworten. Es war im Jahre 1954. Ich hatte in meinem Atelier einen elektrischen Defekt. Um ihn zu beheben, rief ich nach einem Elektriker in der Stadt. Ich arbeitete damals an einer Skulptur, die heute im Kunstmuseum in Basel steht an der „Schweigenden Musik”. Noch zwei andere Werke lagen damals in meinem Studio. Auch sie hatten eine Beziehung zur Musik. Nun – der Elektriker arbeitete an der Decke und ich bemerkte, wie er zwischendurch
immer wieder interessiert auf die Arbeiten herabsah. Er stellte mir aber keine einzige Frage. Schließlich stieg er von seiner Leiter herab, packte seine Sachen, und kurz bevor er das Studio verließ, sagte er mir in einem sehr schlechten Spanisch: „Ich verstehe, alles das da ist wie Musik, nur aus Eisen gefertigt.” Als ich das später einem Freund erzählte, der mit der Firma dieses Arbeiters zu tun hatte, sagte er mir, als ich ihm den Namen gab, dass er den Mann kenne. Er habe zuvor bei einem Orgelbauer gearbeitet. Offensichtlich verstand er es, eine Beziehung zwischen diesen Arbeiten und der Musik herzustellen.

F.M.: Sie selbst haben immer wieder von ihrer großen Liebe zu Johann Sebastian Bach gesprochen. Eine Arbeit haben Sie diesem Genius gewidmet: „Das Haus Johann Sebastian Bachs” (1981). Was schätzen Sie an diesem Komponisten?

E.C.: Bach ist immer derselbe und immer anders. Er hat einen unglaublichen
Reichtum an Variationen, die alle sehr verschieden und doch nahe beieinander liegen – wie die Wellen des Meeres. Seine Musik ist für mich wie eine Umsetzung meiner räumlichen Erfahrung. Ich erzähle Ihnen wieder ein Beispiel. Ich war mit meiner Familie in Istanbul. Natürlich wollten wir die ‘Hagia Sophia’ sehen. Ich hatte viel darüber gehört und allerlei gelesen. Auch kannte ich eine Reihe van Abbildungen. Als ich aber dann mit meinem Sohn Pedro in dieses Gebäude eintrat, war ich vollkommen überwältigt. Ich hatte einen ganz gewaltigen Eindruck, ja
ich hatte das Gefühl, als wäre ich in die Lungen von Johann Sebastian Bach eingekehrt. Das ist er für mich: eine Art Baumeister. Er schafft Raume – wie Masaccio, wie Mantegna. Er arbeitet nur mit anderen Mitteln, mit Tonen und mit Zeit.

F.M.: Kommen wir auf Ihre Arbeiten zurück: Begleiten Sie bestimmte Hoffnungen, wenn Sie an einem konkreten Werk arbeiten?

E.Q: Das Bemühen, mein Bestes zu geben.

F.M.: Mehr nicht?

E. C.: Mehr nicht! Das Best mögliche im Rahmen meiner Fähigkeiten! Alle Schwierigkeiten, die auftreten, anzunehmen und den geeignetsten Ort und die optimale Platzierung zu bestimmen, vor allem aber, die günstigste Kommunikation mit der ursprünglichen Idee durchzuhalten das ist es, was mich treibt.

F.M.: Eine Kunst wie die Ihrige, die ihre Ideale im Formalen hat, lebt die aus der permanenten Suche und dem unaufhörlichen Fragen und Ausschauen?

E.C: Ich glaube, meine Arbeiten sind Fragen/ auf die ich keine Antworten habe. Ich erfrage das große Unbekannte inmitten von allem Bekannten. Mich treibt nicht das bereits Gewusste, sondern das, was wir noch nicht wissen – das Wissenwollen als solches. Aus diesem Geist sollen meine Arbeiten geprägt sein.

F.M.: Das wäre genau das Gegenteil von dem, was wir technische Produktion
nennen, die sich ja auf zuvor gemachte Erfahrungen stutzt und diese nutzt.

E.C. Ich bin kein Handwerker, und mein Kopf ist nicht von Problemen des Technischen bestimmt. Ein Handwerker kann mit seiner spezifischen Erfahrung die Dinge meist besser tun, als es vorher möglich war. Ich dagegen versuche stets Dinge, die ich zuvor noch nicht getan habe. Der Arbeiter akzeptiert die Schwere eines Gegenstandes, er macht sich das Gewicht und die Kenntnisse von der Gravitation zunutze, er kämpft damit im Schweiße seines Angesichts”, ich vielmehr kämpfe gegen die Gravitation, ich lehne mich dagegen auf, auch wenn ich sie als eine schwierige Grenze erfahre.

F.M.: Sie selbst haben einmal Ihre Arbeiten als eine Rebellion gegen die Schwerkraft bezeichnet. In letzter Zeit haben Sie einige Ihrer großen Skulpturen regelrecht aufgehängt: an eine Museumsdecke in Bilbao, unter eine Brücke in Madrid, zwischen zwei Felsen über einen See in Barcelona, und eine schwere Eisenskulptur soll im Transept einer gotischen Kathedrale in Frankreich befestigt werden. Zeugt die Häufigkeit dieses kühnen Gedankens van der inneren Richtung Ihrer Arbeit?

E.C.: In der Tat, der Kampf gegen die Schwerkraft wird für mich immer wichtiger. Meine Arbeiten sind wie eine Wette gegen die Kräfte der Gravitation. Das ist eine alte Idee von mir. Erstmals habe ich eines meiner Werke,,desdedentro”, 1983, im Guggenheim Museum in New York aufgehängt. Es ist immer gefährlich, sich mit der Schwerkraft einzulassen und sie herauszufordern. Aber es ist mein Wille.

F.M.: Am entschiedensten konfrontieren Sie ja den Betrachter mit Ihrer schon angesprochenen Idee für eine hangende Skulptur in einer Kirche in Frankreich.

E.C: Ja, sie sollte in die Vierung der gotischen Abteikirche in Beaulieu gehängt werden, möglichst so, dass der Betrachter mit ihr – vis a vis – kommunizieren sollte. Sie überstieg das Menschenmass und sollte, von oben herab hangend dem Menschen in Kopfhöhe schwebend begegnen.

F.M.: Das berührt die alten Träume des Menschen von einer Überwindung seiner Grenzen. Sie suchen also eine Öffnung zum Kosmos, zum Raum, zu Raum und Zeit – Themen, die Sie seit Jahren verfolgen. Was ist Ihr Konzept vom Raum?

E.C: Natürlich habe ich eine gewisse Kenntnis vom Raum, wie jeder sie hat, der sich mit diesen Fragen beschäftigt; es ist das Wissen um die Entfernungen und um die gemessenen Daten. Aber das ist mir nicht genug. Es geht mir nicht um den messbaren Raum und um die mit einer Uhr gemessene Zeit. Es geht mir um den Augenblick, beispielsweise um das Jetzt, in dem ich lebe und fühle. Auch das ist Zeit, wenngleich keine messbare. Ich denke, der wahre Wert von Raum und Zeit als solcher ist viel bedeutsamer als der empirisch fassbare.

F.M.: Sie meinen Raum und Zeit als Existenzbestimmungen?

E.C.: Ja, als eine Art Medium. Und wir sind ein Teil davon. Der Raum ist das Lebendigste van allem, was uns umgibt. Er ist wie ein Geist.

F.M.: Der Raum ist eine Erfahrung?

E.Q: Ja, aber man kann eigentlich nicht darüber sprechen oder diskutieren. Diese Art Raum muss erfühlt werden, er muss eine Entsprechung in uns finden. Schauen Sie, vor einigen Jahren war ich einmal In Burgos in einer sehr alten Kirche. Sie war eine romanische Kirche, äußerst beeindruckend in ihren dicken Mauern. Als ich dort längere Zeit stand, erfühlte ich die Einheit zwischen den Formen der Fenster und denen der Mauersteine. Dann erhob sich mein Blick durch diese als Einheit wahrgenommenen Entsprechungen nach draußen. Da gab es keine Fenster mehr und keine Steine. Da gab es nur noch den Raum. Ich stand vor diesem von innen durch das Glas nach außen gesehenen offenen Raum; und doch war dieser Raum durch die Art, wie ich ihn erschaute, anders als der, welcher ihn umgab. Ob Sie es glauben wollen oder nicht, er hatte eine andere Intensität und Dichte.

F.M.: Der Raum ist für Sie keine abstrakte Idee, sondern etwas Konkretes, etwas Körperhaftes?

E.C: Ja, er ist voller Leben, voller Bewegung, voller Rhythmen.

F.M.: In vielen Skulpturen haben Sie diese Probleme verhandelt, vor allem in den Tischen’, „Omar Khayyams Tische” (1983) und ,,Ehrung für Luca Pacioli” (1986). Es sind die Fragen von leeren und gefüllten Raumen, von Innen und Außen, von Raum-Dichte und spezifischen Raum-Qualitäten.

E.Q: Ja, ich griff die Erfahrungen in dieser Kirche und die Idee mit den Raumprojektionen in meiner Arbeit auf, versuchte, mit starken Stahlplatten die Fenstersituation in der alten Kirche widerzuspiegeln. Beim Experimentieren entdeckte ich wie durch einen Zufall, dass ich dieses Problem anstatt in der Vertikalen besser in der Horizontalen realisieren sollte …

F.M.: daher die Tische? …

E. C.: …ja, hier traten die Beziehungen zum Boden auf. Sie ermöglichten eine Raumerfahrung, die wie eine säulenhafte Stützung wirkte: als wurde die schwere Eisenplatte durch nichts als den offenen Raum eines Lochs im Eisen buchstäblich getragen. Ich probierte mit diesen Vorstellungen etwa 14 Tage herum, bis ich dann einen bestimmten Abstand fand und fixierte, eine Hohe über dem Boden, wo ich mit diesen Raumerfahrungen optimal kommunizieren konnte.

F.M.: Es sind diese gefüllten Raumprojektionen selbst, die wie die Stutzen einer Arbeit wirkten. Wenn ich jetzt die Raumerfahrung, van der Sie erzählten, auf die Seherlebnisse in der Kirche zurückbringe, dann kann man ja auch dort von verschieden dichten Raumen sprechen. Der Kirchenbau umgibt einen erfüllten Raum. Wurden Sie bei religiösen Dimensionen auch von einer erfühlten Dichte bzw. von einer kosmischen Präsenz reden?

E.C.: Ich bin ein religiöser Mensch. Die Fragen des Glaubens und in eine Probleme als Künstler liegen nahe beieinander. Natürlich hat meine Auffassung von Raum eine spirituelle Dimension, wie dieser ja auch eine philosophische hat. Mein ständiges Rebellieren gegen die Gesetze der Gravität hat einen religiösen Aspekt. Das alles ist eine Frage der Namensgebung.

F.M.: Aber Kunst und Religion sind nicht einfachhin zu identifizieren?

E. C.: Mich interessieren diese Dinge, aber ich gebe ihnen keinen Namen. Wie gesagt: Ich bin durchaus ein religiöser Mensch, auch wenn ich mit manchem in der Kirche meine Schwierigkeiten habe. Aber man muss sich damit auseinandersetzen und sie bewältigen.

F.M.: Sie haben sich auch mit spiritueller Literatur befasst?

E. C.: Ja sicher. Ich habe viel über die Mystik gelesen, die deutsche, indische,
orientalische und die christliche ganz allgemein. Und ich muss Ihnen gestehen, dass ich glaube, dass meine Arbeit sehr viel mit diesem Denken zu tun hat. Was einer im Innern fühlt, das kann er auch nach außen mitteilen. Darum geht es doch in der Mystik: dass wir die gegensätzlichen Kräfte, die uns nach oben und nach unten ziehen, bewältigen, dass wir sie in eine Form bringen – und dass wir dabei die
Grenzen übersteigen, die Grenzen von Raum und Zeit, die Grenzen des Augenblicks, die niemand messen kann. Oder?

F.M.: Ja, gewiss. – Die besondere Aufmerksamkeit, die Sie der Raumerfahrung schenken, hat ihre Entsprechung in Ihrer Sensibilität, für eine bestimmte Skulptur den bestmöglichen Ort zu finden. Halten Sie diese bewusste Wahl eines Ortes für die konsequente Fortsetzung Ihrer künstlerischen Arbeit selbst?

E.C: Nicht jede Stelle ist schon ein angemessener Ort. Dieser zeichnet sich vor allem durch eine gewisse Aktivität aus, er ist selbst etwas Lebendiges. Er öffnet eine Gegend, würde Heidegger sagen, er bringt verschiedene Dinge zueinander.

F.M.: Damit prägt ein Ort auch die Skulptur, die auf ihm steht. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen einer Plastik und ihrem Ort naher beschreiben?

E.C.: Martin Heidegger hat darüber viel nachgedacht. An einem schonen Beispiel macht er klar, was ein Ort ist, an der Brücke van Heidelberg. Erst ihr Bau habe eine bestimmte Stelle zu einem Ort gemacht.

F.M.: Auch ein Kunstwerk kann also einen Ort prägen. Es kann ihn durch seine Präsenz abstecken, es kann ihn wahrnehmen und als Ort in seinem Charakter erkennen lassen, so dass er auf seine Weise dann für den Betrachter die einzelnen Dinge drumherum zueinander bringt. Ich habe das immer wieder bei Ausstellungen mit Plastiken erfahren, die ich in Bahnhöfen, in Kirchen oder in Garten ausgerichtet habe. Offensichtlich hatten die alten Bauleute für diese Qualitäten einen Sinn, als sie die Plätze für ihre Kathedralen bestimmten, denn diese Orte haben dann nicht nur den Blick versammelt, sondern auch die Menschen selbst – über die Jahrhunderte hinweg.

E.C: Dieser Punkt ist sehr interessant. Die Architektur- und die Kunstgeschichte und die allgemeine Historie haben sich immer wieder damit befasst. Es ist ganz sicher, dass es sehr spezifische Orte sind, an denen die großen Kathedralen in Europa gebaut wurden. Überall gab es Menschen, die ein Gefühl für die Bestimmung dieser Orte hatten. Sie besaßen die Kraft sie zu erkennen. Viele große Kirchen beziehen ihre Ausstrahlungskraft auch und besonders von der Bedeutung der Orte, auf denen
sie stehen. Das können Sie ebenso gut in Köln wie in Paris, in Toledo wie in Santiago de Compostela feststellen.

F.M.: Ein weiterer Faktor für die reflektierte Wahl eines bestimmten Ortes für ein Bauwerk ist also die Möglichkeit zu besonderen Erlebnissen im Fall der Kathedrale zur Erfahrung des Transzendenten. Dome sind Orte für das Heilige, so der Besucher überhaupt eine geistliche Erfahrung machen will bei der er sich selbst in eine geistige Dimension seiner selbst hinein verlieren kann. Gilt etwas Ähnliches auch für die Skulptur im öffentlichen Raum?

E.C.: Natürlich. Auch hier will der Ort gut gewählt sein. Wenn ich einen Anlass habe, dann bin ich ständig auf der Suche nach dem geeigneten Ort für eine bestimmte Arbeit. Das war u.a. bei den Vorbereitungen für meine „Ehrung des Horizonts” der Fall. Geradezu an der gesamten französischen Westküste bin ich herumgefahren. Dabei habe ich eine sonderbare Beobachtung gemacht. Alle Platze, die ich interessant fand, waren bereits vom Militär besetzt. Schließlich kam ein Architekt auf mich zu, der van meinem Vorhaben gehört hatte, und sagte mir, er habe den richtigen Ort dafür gefunden: den Hügel ‘Santa Catalina’ im asturischen Gijon. Und siehe, auch dieser war jahrhundertelang militärisch genutzt worden.

F.M.: Mehr und mehr entwickelte sich Ihre Arbeit im Laufe der Zeit dahingehend, dass Sie Skulpturen ausdrücklich für öffentliche Raume machen. Was drängt sie dazu?

E.C: Ja, meine wichtigsten Arbeiten sind für die Öffentlichkeit gemacht. Sie sind für die Menschen und sie gehören allen. Das ist der Grund warum ich mir soviel Mühe mache, einen entsprechenden Ort für sie zu finden. Ich denke, es ist eine besondere Aufgabe für einen Bildhauer, Arbeiten für breite Bevölkerungsschichten zu schaffen. Viele machen heute Multiples, d.h. dasselbe Werk in vielen Auflagen. Aber ich meine
der Mensch muss das ‘Multiple’ sein, nicht das künstlerische Werk. Dieses muss einzigartig sein. Die Betrachter seien möglichst viele, und sie alle sollten die Besitzer sein. Das ist das Faszinierende an der Kunst im öffentlichen Raum.

F.M: Ich denke, das ist nicht nur ein Anspruch für den Künstler, sondern auch für die vielen Betrachter. Sie kommen ja vielfach deshalb in so großen Zahlen an bestimmte Orte, weil sie ein Gefühl für die Qualität eines Ortes entfalten und seine geistige Einheit automatisch wahrnehmen, ohne es unbedingt tiefschürfend zu ergründen. Das ist also das ideale Kunstwerk, das mit der Idee eines Ortes und mit den sozialen
Bedürfnissen der Menschen einer Gegend eine Einheit eingehen kann. Eine optimale Realisierung dieser Zusammenhange sehe ich in den „Windkämmen“, Ihrer Heimatstadt San Sebastian.

E.C: Ich war vierzehn Jahre alt, als ich diesen Ort für mich entdeckte. Anfangs war diese Stelle an der Küste für mich ein idealer Ort für eine Erfahrung der Natur. Oft und oft ging ich während meiner Schulzeit dorthin. Immerzu kamen die Wellen heran, immerzu war es dasselbe Bild – und doch immerfort anders. Das Meer war für mich wie ein Lehrmeister. Ich konnte es hören und sehen lernen. Es war ein Ort von hoher
Dichte für mich.

F.M.: Es dauerte aber lange, bis Sie dort eine Skulptur errichten konnten.

E.C.: Ja, ganze vierzig Jahre. Eigentlich begann es schon bevor ich wusste, dass ich einmal ein Künstler sein würde. Der Ort hat mich eigentlich immer beschäftigt. Später dann spürte ich, dass es das Beste war, diesen Ort so anzunehmen, wie er war: das Rauschen, die Wellen, die Gezeiten, die in Millionen von Jahren gebrochenen und ausgewaschenen Felsen … Da konnte ich nicht einfach irgendwas hinstellen.

F.M.: Sie nahmen die Strukturen dieses Ortes an fühlten sich in sie hinein und setzten dann drei markante Zeichen, die den Wind und das Wasser, das er den Wellen abtrotzte, kämmen sollten. So akzentuierten Sie diese Uferstelle als einen äußerst markanten und erlebnisdichten Ort der Natur wie der Stadt. Wenn man die vielen Menschen sieht, die immerfort wie die Wellen hierhin wandern/ ja pilgern, und sich dieses Ortes erfreuen, dann spürt man die Intentionen Ihrer Arbeit an ihrem
Ziel. Ich selber mache diese Erfahrung immer wieder mit einer Ihrer anderen Skulpturen. Es ist „Unseres Vaters Haus”, 1986/88, in Guernica, eine Stadt im Nordwesten des Baskenlandes, die mit Deutschland auf eine so grausame wie dustere Weise verbunden ist. Wenn ich in dieser riesigen Gedenkstatte herumgehe, den Ort realisiere, wo ich mich aufhalte, mich an die Zeit erinnere, auf die sie verweist, dann bin ich zugleich sehr betroffen und habe doch das Gefühl, dass diese Betroffenheit zugleich eine Gestaltung findet. Ich werde aus den Lähmungen, die
mich an anderen Stellen befallt, welche an die Greuel aus deutscher Geschichte erinnern, herausgeführt. Ich erlebe die Zuversicht, dass der Mensch aus der Geschichte lernen und die Welt besser gestalten kann. Welche Überlegungen haben Ort und Form dieses Denkmals bestimmt?

E.C: Die Arbeit steht in einer doppelten Verbindung zur sagenumwobenen baskischen Eiche und zum geographischen Umfeld. Die Eiche von Guernica ist ein altes nationales Symbol meines Landes. Hier trat das selbstgewählte Parlament der Basken zusammen; hier legte der spanische König das Versprechen ab, dass er die besonderen Rechte dieses Volkes respektieren wurde. Auf diese jahrhundertealte Eiche ist meine Schiffsähnliche Skulptur ausgerichtet. Von der Eisenstele in ihrer Mitte kann man sie sehen. Der Blick wird geradezu darauf gelenkt. Gleichzeitig kann man an dieser Stelle rechtwinklig eine andere Gerade realisieren, die zwei alte Kirchen miteinander verbindet. Die eine steht rechts oben auf einem benachbarten Berg, die andere links unten in der Stadt. Zu guter Letzt ergibt sich ein interessanter Blick durch die eine Kreisform der Skulptur. Der fallt auf die alten Tropfsteinhohlen von Santimami~ne. Sie liegen am Hang eines fernen Berges.

F.M.: Eine Skulptur, die durch die präzise Wahl ihres Ortes die verschiedensten
Dinge zusammenbringt und erfahren lässt!

E.C.: Am Tag vor der Einweihung las ich in der Bibel die Stelle in der Genesis, wo Gott einen Bogen als Zeichen des Bundes mit der Erde an den Himmel setzte. Nun – ich habe sicherlich nicht an diesen Zusammenhang gedacht, aber dies war präzise das, was ich mit der Arbeit wollte: einen Bund mit der Erde zu schließen. Deshalb habe ich für diese Skulptur auch diese Stelle ausgewählt.

Raum
Münster Eduardo Chillado

F.M.: Eine ähnliche Beziehung zwischen Werk und Ort gibt es bei der jüngst eingeweihten Arbeit in Münster, die an den Westfälischen Frieden erinnert.

E.C: Ja, dieses Projekt für Munster, 1993, hat eine jahrelange Entwicklung hinter sich. Der Oberbürgermeister van Münster hatte mich seit langem darum gebeten. Oft habe ich mir den Platz angeschaut. Schließlich schuf ich diese beiden bankartigen Skulpturen, die einander gegenübergestellt sind. Sie haben Sitz und Ruckenstütze. Die Lehnen verweisen in einem mehr als 90 Grad großen Winkel in den Horizont, um gleichsam die ursprüngliche Idee Gottes bei der Erschaffung des Menschen
auf diesen Ort herabzurufen. Die Arbeit zeigt, wie es um den Menschen bestellt sein konnte. Sie gestaltet die Idee des Verstehens unter den Menschen, wenn nämlich einer mit seinesgleichen spricht: in Weisheit, in Toleranz, in gegenseitiger Akzeptanz. Der Ort ist wie eine Einladung an die Menschen, damit sie sehen können, wie man im Geist des Friedens die Dinge, die trennen, besprechen und in eine Eintracht
zusammenbringen kann.

F.M.: Herr Chillida, Zeit Ihres Lebens haben Sie sich immer wieder mit
dem deutschen Geistesleben befasst. Ihre Beziehungen zu Johann Sebastian
Bach und Martin Heidegger haben wir beiläufig in diesem Gespräch berührt. Andere Autoritäten sind für Sie Hölderlin und Novalis. Sie haben sich früh in Ihre Schriften vertieft und dabei die besondere Verwurzelung ihres Denkens in der deutschen Sprache verspürt. Wieder ein anderer Kopf/ der Sie stark beeindruckt hat, ist Johann Wolfgang von Goethe. Sie haben ihm in Frankfurt am Main eine Skulptur gewidmet,
„Ein Haus für Goethe” (1986). Was verbindet Sie mit seinem Schaffen?

E.C: Ich bewundere Goethe sehr, und dies aus verschiedenen Gründen. Doch mehr als sein dichterisches Werk spricht mich sein wissenschaftliches Denken an, seine Ausführungen über die Spirale, über die Farben und die Eigenschaften der Zahlen etwa. Gemeinhin finden diese Gedanken weniger Aufmerksamkeit als seine Poesie, verdienen aber eine volle Beachtung.

F.M.: Als das Projekt für Frankfurt noch in der Vorbereitung war, schrieben Sie einmal an Klaus Gallwitz, der die Skulptur maßgeblich angeregt hatte, die folgenden, auch für Sie selbst bezeichnenden Zeilen. Ich mochte sie abschließend aus einem seiner Vortrage über diese Skulptur zitieren: „Zwei Zentren, nicht eins, drücken die Ungewissheit, Produkt der Intelligenz, welche Goethe auszeichnete, aus. Hieraus entstand meine erste Idee, dass der Grundriss seines Hauses elliptisch wurde. In späteren Losungen sind die beiden Zentren gegenseitig beibehalten, aber nur eines im Grundriss; das andere erhebt sich auf die Hohe des Menschen, über dessen Stelle sich ein Bogen zieht, welcher Tor Triumph und Verfall enthalt, aber nicht van der Vergangenheit, wie gewöhnlich die Ruinen, sondern von der Zukunft. Das Haus eines Mannes wie Goethe konnte nicht überdacht werden. Das Licht, das er suchte, wäre unter einem Dach verborgen.”

Raum

Der Raum

Der Raum? Die Skulptur ist eine Funktion des Raumes. Ich spreche nicht van dem Raum, der außerhalb der Form ist, der das Volumen umgibt und in dem die Formen leben, sondern ich spreche von dem Raum, den die Formen erschaffen, der in ihnen lebt und der umso wirksamer ist, je mehr er im verborgenen wirkt. Ich konnte ihn mit dem Atem vergleichen, der die Form anschwellen und sich wieder zusammenziehen
lasst, der in ihr den Raum der Vision öffnet – unzulänglich und verborgen vor der Außenwelt. Für mich handelt es sich dabei nicht um etwas Abstraktes, sondern um eine Wirklichkeit, die ebenso körperhaft ist wie die der Volumen, die ihn Umschließen. Dieser Raum muss ebenso erfühlt werden können wie die Form, in der er sich manifestiert. Er hat expressive Eigenschaften. Er versetzt die Materie, die ihn umgreift, in Bewegung, bestimmt ihre Proportionen, skandiert und ordnet ihre Rhythmen.
Er muss seine Entsprechungen, sein Echo in uns finden, er muss eine Art geistige Dimension besitzen. So sollte ja auch das Zimmer, in dem ich mich aufhalte, und sei es vorübergehend, in Einklang sein mit einem idealen Schema, das meinen Aktionen entspricht und sie bestimmt. Es gibt Zimmer, in denen man erstickt; sie erdrücken einen und verursachen physisches Unwohlsein – es sind unbewohnbare Raume. Ähnliches gilt für die Plastik. Ich suche nach einem Raum der dem dynamischen
Bild, von dem ich gesprochen habe, gemäß ist. Volumen existieren nur in der Beziehung zu diesem unsichtbaren Element, und Aufgabe der Substanz einer Plastik ist es, seine Gegenwart fühlbar zu machen, seine innere Harmonie nach außen zu transponieren.

“Lieber eine Wolke van Vogeln am Himmel als einen einzigen in der Hand”

 

Eduardo Chillida

Bron: Chillida im geistlichen Raum, Hers. Martina Schleppinghoof und Kurt Danch, Köln, 1993 (Kunst-Station Sankt Peter Köln)

 

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wijdte

 

 

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