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Meister Eckhart

Predigten

01. Vom Schweigen
02. Vom Unwissen
03. Von der Dunkelheit
04. Von stetiger Freude
05. Von der Stadt der Seele
06. Vom namenlosen Gott
07. Vom innersten Grunde
08. Von der Vollendung der Zeit
09. Ein Zweites vom namenlosen Gott
10. Von guten Gaben
11. Von unsagbaren Dingen
12. Vom Leiden Gottes
13. Von der Einheit der Dinge
14. Wie Jesus am Stricke zog
15. Von der Erkenntnis Gottes
16. Von der Armut
17. Von Gott und der Welt
18. Von der Erneuerung des Geistes
19. Von der Natur
20. Von Gott und Mensch
21. Vom Tod
22. Was ist Gott?
23. Vom persönlichen Wesen

Traktate

01. Von den Stufen der Seele
02. Gespräch zwischen Schwester Kathrei und dem Beichtvater
03. Von der Abgeschiedenheit
04. Von der Ueberfreude
05. Die Seele auf der Suche nach Gott
06. Von der Ueberfahrt zur Gottheit
07. Vom Zorn der Seele
Predigten

1. Vom Schweigen

Wir begehen das Fest von der ewigen Geburt, die Gott der Vater geboren hat und ohne Unterlass in der Ewigkeit gebiert, während dieselbe Geburt jetzt in der Zeit und in der Menschennatur sich ereignet. Der heilige Augustin sagt, diese Geburt geschehe immer. So sie aber nicht in mir geschieht, was hilft es mich dann? Denn dass sie in mir geschehe, daran liegt alles.
Wir haben ein Wort des Weisen: »Da alle Dinge mitten in einem Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem königlichen Stuhle ein verborgenes Wort.« Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.
»Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes Wort.« Ach, Herr, wo ist dies Schweigen und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?
Es ist in dem Lautersten, das die Seele aufweisen kann, in dem Edelsten, in dem Grunde, ja, in dem Wesen der Seele! Das ist das Mittel: Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat da nicht Wirken noch Verstehen, und weiss kein Bild davon, weder von sich selbst noch von irgend welcher Kreatur.
Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles, was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie denkt, tut sie es mit dem Gedächtnis. Wenn sie begehrt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Wesen. All ihr Wirken nach aussen haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die Augen, anders kann sie kein Sehen bewirken oder zu stande bringen. Und ebenso ist es mit allen andern Sinnen. All ihr Wirken nach aussen bewirkt sie durch ein Mittel. Aber in dem Wesen ist kein Werk, daher hat die Seele im Wesen kein Werk als die Kräfte, mit denen sie wirkt, die fliessen aus dem Grunde des Wesens, oder vielmehr: in diesem Grunde ist das Mittel Schweigen, hier ist allein Ruhe und eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, dass Gott der Vater allda sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur nur dem göttlichen Wesen ohne irgend ein Mittel zugänglich. Gott geht hier in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil.
Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den Grund der Seele, sie muss in den Kräften aussen bleiben. Da mag sie ihr Bild betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn jedesmal, wenn die Kräfte der Seele mit der Kreatur in Berührung kommen, nehmen und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich. Auf diese Weise entsteht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht näher in die Seele kommen, und die Seele nähert sich jeder Kreatur nur dadurch, dass sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem gegenwärtigen Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die Seele mit den Kräften schöpft. Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was immer sonst sein, das sie kennen lernen will, immer nimmt sie das Bild hervor, das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen vereinigen. Aber immer wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muss es notwendigerweise von aussen durch die Sinne hereinkommen. Darum ist der Seele kein Ding so unbekannt, wie sie sich selbst. Es sagt ein Meister, die Seele könne von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und gar nicht kennen lernen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: daher kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle andern Dinge, nur sich selber nicht. Von keinem Ding weiss sie so wenig, wie von sich selbst, um des Mittels willen. Und das müsset ihr auch wissen, dass sie inne frei ist, und ohne alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, dass sich Gott frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht lassen, du musst die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne alle Schranken zugeben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, um so unmittelbarer geschieht auch sein Werk und um so einfacher ist es. Der Mensch hat viele Mittel in seinen äussern Werken; bis er diese Werke hervorbringt, wie er sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell. Sobald sie ihren Schein ausgiessen, in demselben Augenblick ist die Welt an allen Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der Mittel für seine Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim hat nur noch ein Bild. Alles was die unter ihm Stehenden in Mannigfaltigkeit wahrnehmen, nimmt er in einem wahr.
Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hinkam, als er selbst mit seinem eigenen Wesen. Das kann keine Kreatur tun.
Wie gebiert Gott Vater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen tun, in Bildern und in Gleichnissen? Wahrlich, nein! sondern: ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja freilich, wie gebiert er da? Merket auf. Seht, Gott Vater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst, ohne jedes Bild. Und so gebiert Gott Vater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht, in derselben Weise und in keiner andern gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre da irgend ein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.
Es kann gefragt werden, ob diese Geburt besser im Menschen geschehe und vollbracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und hineindenke, oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und in einer Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes Werk in ihm warte?
Ich weise darauf hin, meine Reden und Werke sind allein guten und vollkommenen Menschen gewidmet, in denen vor allem das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren, dass das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das ist, dass du schweigest und Gott allda wirken und sprechen lassest. Wo alle Kräfte von allen ihren Werken und Bildern abgezogen sind, da wird dies Wort gesprochen. Darum sprach er: »Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort gesprochen.« Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergissest, um so näher bist du diesem und um so empfänglicher. Könntest du aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, wie es Sankt Paulus geschah, als er sprach: »Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiss ich nicht, Gott aber weiss es wohl« – da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, dass er des Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die vierzig Tage auf dem Berge fastete und doch nicht schwächer wurde – so sollte der Mensch allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller Dinge und seiner selber kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele: zieh dich zurück von der Unruhe äusserer Werke, flieh also und verbirg dich vor dem Gestürm äusserer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muss sie in Friede und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst. Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis seiner selbst, denn »gut« oder »wahr« gehört zu seinem Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines gemacht und morgen das andre. Zwar schreibt Moses so. Er wusste es gleichwohl viel besser: er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders verstehen und fassen konnten. Gott tat nicht mehr dazu als das eine: er wollte und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild bist, je mehr du seines Einwirkens empfänglich bist, und je mehr du in dich gekehrt und selbstvergessen bist, um so näher bist du diesem.
Hierzu ermahnte Dionysius seinen Jünger Timotheus und sprach: Lieber Sohn Timotheus, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst hinausschwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die verborgene stille Finsternis, auf dass du zu einer Erkenntnis des unbekannten übergöttischen Gottes kommest. Es muss ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott verschmäht es in Bildern zu wirken.
Nun könntest du fragen: was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und im Wesen? Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen. Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle Bilder von aussen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das allernützlichste. Denn Unwissen bringt sie zum Wundern, und bewirkt es, dass sie diesem nachjagt, denn sie findet wohl, dass es ist, sie weiss nur nicht, wie und was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch der Dinge müde und sucht wieder ein andres zu erfahren und hat doch immer einen Jammer, diese Dinge zu wissen und hat doch kein Dabeibleiben, darum: die unerkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und lässt sie doch nicht zur Ruhe kommen.
Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem andern Meister: Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzet in meiner Vernunft; ich merke wohl, dass es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich alle Wahrheit. Da sprach der andere Meister: Wohlauf, dem folge nach! Denn könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute beisammen und hättest ein ewiges Leben. In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: würde das in mir vollendet und befestigt, das müsste ewiges Leben sein. Es verbirgt sich und tut sich doch kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle Dinge nehmen und stehlen. Aber damit, dass es sich ein wenig zeigt und offenbart, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst berauben und benehmen. Davon sprach der Prophet: »Herr, nimm ihnen ihren Geist, und gib ihnen dafür deinen Geist.« Das meinte auch die liebende Seele, als sie sprach: »Meine Seele zerschmolz und zerfloss, als die Liebe ihr Wort sprach: als sie einging, da musste ich hinschwinden.« Das meinte auch Christus, als er sprach: »Wer etwas um meinetwillen lässt, der wird hundertfältig wieder nehmen, und wer mich haben will, der muss auf sich selbst und auf alle Dinge verzichten, und wer mir dienen will, der muss mir folgen, er darf nicht dem Seinen folgen.«
Nun könntest du sagen: Wahrlich, Herr, ihr wollt den natürlichen Lauf der Seele umkehren! Ihre Natur ist, dass sie durch die Sinne wahrnimmt und in Bildern; wollt ihr die Sache umkehren? Nein! Was weisst du, was für Rangstufen Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht alle beschrieben sind, ja, die noch verborgen sind? Denn die von den Stufen der Seele schrieben, waren noch nicht weiter gekommen, als ihre natürliche Vernunft sie trug; sie waren nicht auf den Grund gekommen, daher musste ihnen viel verborgen sein und blieb ihnen unbekannt. Alle Wahrheit, die die Meister je lehrten mit ihrer eigenen Vernunft und ihrem Verstand oder in Zukunft lehren bis an den jüngsten Tag, die verstanden nie das mindeste von diesem Wissen und diesem Verborgenen. Wenn es schon ein Unwissen heisst und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich drinnen als alles Wissen und Erkennen von aussen: denn dies Unwissen des Aeussern reizt und zieht dich von allen Wissensdingen und auch von dir selbst. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mutter lässt und alles was äusserlich ist, der ist meiner nicht würdig.« Als ob er spräche: Wer nicht alle Aeüsserlichkeit der Kreaturen lässt, der kann in diese göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. Ja, wenn du dich deines Selbst beraubst und alles dessen, was äusserlich ist, dann findest du es in Wahrheit. Zu dieser Geburt verhelfe uns Gott, der neu geboren ist in Menschengestalt, dass wir armen Leute in ihm göttlich geboren werden, dazu verhelfe er uns ewiglich. Amen.

2. Vom Unwissen

»Wo ist, der geboren ist als König der Juden?« – Höret nun, wie diese Geburt vor sich geht.
Die ewige Geburt bringt allewege grosses Licht in die Seele, denn es ist die Art des Guten, dass es sich ergiessen muss, wo immer es ist. In dieser Geburt ergiesst sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass das Licht so gross wird im Wesen und im Grunde der Seele, dass es sich hinausschleudert und in die Kräfte und auch in den äussern Menschen überfliesst. Dieses Lichtes wird der Mensch wohl gewahr. Stets wenn er sich zu Gott kehrt, gleisst und glänzt in ihm ein Licht und gibt ihm zu erkennen, was er tun und lassen soll, und viel gute Lehre, wovon er vorher nichts wusste und verstand. »Woher weisst du das?« Merk auf. Dein Herz wird mächtig angefasst und von der Welt abgekehrt. Wie anders könnte das geschehen als durch diese Erleuchtung? Die ist so zart und wonnig, dass dich alles verdriesst, was nicht Gott oder göttlich ist. Sankt Augustin sagt: Es gibt viele, die Licht und Wahrheit gesucht haben, aber nur immer draussen, wo sie nicht war. Und dann sind sie zuletzt so weit abgekommen, dass sie nimmermehr heim und nicht mehr hineinkommen. Wer also Licht finden will und Unterscheidung aller Wahrheit, der warte auf diese Geburt in sich und im Innern und nehme ihrer wahr: so werden alle Kräfte und der äussere Mensch erleuchtet. Denn sowie Gott das Innere mit der Wahrheit berührt hat, so wirft sich das Licht in die Kräfte und der Mensch versteht alsdann mehr als ihm jemand lehren könnte. Daher spricht der Prophet: »Ich habe mehr gewusst als alle, die mich je lehrten.«
Hier erhebt sich eine Frage. Da Gott Vater allein im Wesen und im Grund der Seele gebiert und nicht in den Kräften, was geht es die Kräfte an? Was soll ihr Dienst hier, dass sie sich herbemühen und feiern helfen sollen! Wozu ist das not, da in den räften nichts geschieht? Das ist gut gefragt. Aber beachte die folgende Unterscheidung. Eine jede Kreatur wirkt ihr Werk um eines Zweckes willen. Der Zweck ist jederzeit das erste in der Meinung und das letzte im Werke. Daher beabsichtigt Gott mit allen seinen Werken einen seelischen Zweck, das heisst: sich selbst, und will die Seele mit all ihren Kräften zu ihrem Zweck führen, das heisst: zu Gott selbst. Darum wirkt Gott all seine Werke, darum gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele, dass alle Kräfte der Seele zu ihrem Zwecke kommen. Er trachtet nach allem was in der Seele ist, und ladet es alles zur Bewirtung und zu Hofe. Nun hat sich aber die Seele mit den Kräften nach aussen zerteilt und zerstreut, jede in ihr Werk: die Sehkraft in das Auge, die Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher sind ihre Werke um so weniger im stände inwendig zu wirken: denn jede zerteilte Kraft ist unvollkommen. Darum muss sie, wenn sie inwendig kräftig wirken will, alle ihre Kräfte wieder heimrufen und sie von allen zerteilten Dingen zu einem inwendigen Wirken sammeln. Sankt Augustin sagt: Die Seele ist mehr, wo sie liebt als wo sie dem Leib Leben gibt. Ein Gleichnis: Es war einmal ein heidnischer Meister, der hatte sich der Rechenkunst zugewandt, und sass
vor Stäben und zählte sie und ging seiner Wissenschaft nach. Da kam einer und zog sein Schwert (er wusste nicht, dass es der Meister war) und sprach: »Sprich schnell, wie du heissest, oder ich töte dich.« Der Meister war so sehr in sich gekehrt, dass er den Feind nicht sah noch hörte, noch merken konnte, was er wollte. Und als der Feind lange und viel gerufen hatte und der Meister immer noch nicht sprach, da schlug ihm jener den Kopf ab. Dies war um eine natürliche Kunst zu gewinnen. Wie ungleich ehr sollten wir uns allen Dingen entziehen, und alle unsere Kräfte sammeln, um die einige, grenzenlose, ungeschaffene ewige Wahrheit zu schauen und zu erkennen! Hierzu sammle alle deine Vernunft und all dein Nachdenken: kehre das in die Tiefe, worinnen dieser Schatz verborgen liegt. Wisse, wenn dies geschehen soll, musst du allen anderen Werken entfallen und musst in ein Unwissen kommen, wenn du dies finden willst.
Es erhebt sich wieder eine Frage. Wäre es nicht angemessener, dass eine jede Kraft ihr eigenes Werk behielte, und dass keine die andre an ihren Werken hindre, und dass sie auch Gott nicht an seinen Werken hindre? In mir kann eine Art kreatürliches Wissen sein, das nichts hindert, wie Gott alle Dinge ohne Hindernis weiss, wie es bei den Seligen der Fall ist. Nun achtet auf den folgenden Unterschied. Die Seligen sehen in Gott ein Bild, und in dem Bild erkennen sie alle Dinge, ja Gott selbst sieht überhaupt nur in sich und erkennt in sich alle Dinge. Er braucht sich nicht von einem zum andern zu wenden, wie wir es müssen. Wäre es so bestellt in diesem Leben, dass wir allezeit einen Spiegel vor uns hätten, in dem wir in einem Augenblick alle Dinge in einem Bilde sähen und erkennten, so wäre uns Wirken und Wissen kein Hindernis. Da wir uns nun aber von einem zum andern wenden müssen, darum können wir uns nicht bei dem einen aufhalten ohne Hinderung des andern. Denn die Seele ist so ganz verbunden mit den Kräften, dass sie mit ihnen überall hinfliesst, wo sie hinfliessen, denn bei all den Werken, die sie wirken, muss die Seele dabei sein und zwar mit Aufmerksamkeit, sie vermöchten sonst mit all ihrem Wirken ganz und gar nichts. Fliesst sie also mit ihrer Aufmerksamkeit äusserlichen Werken zu, so muss sie notwendigerweise um so schwächer bei ihrem inneren Werke sein, denn zu dieser Geburt will und muss Gott eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der nichts sein darf als er allein, und die auf nichts und auf niemanden warten darf als auf ihn allein. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer etwas anderes liebt als mich, und Vater und Mutter und diesen anderen Dingen gut ist, der ist meiner nicht wert. Ich bin nicht auf die Erde gekommen, um Friede zu bringen, sondern das Schwert, auf dass ich alle Dinge abschneide, und den Bruder, das Kind, die Mutter, den Freund von dir trenne, die fürwahr deine Feinde sind.« Denn was dir lieb ist, das ist fürwahr dein Feind. Will dein Auge alle Dinge sehen und dein Ohr alle Dinge hören und dein Herz aller Dinge gedenken, so muss wahrlich von all diesen Dingen deine Seele zerstreut werden.
Darum spricht ein Meister: Wenn der Mensch ein inwendiges Werk wirken will, so muss er all seine Kräfte in sich ziehen, wie in einen Winkel seiner Seele, und muss sich verbergen vor allen Bildern und Formen, und da kann er dann wirken. Da muss er in ein Vergessen und in ein Nichtwissen kommen. Es muss in einer Stille und in einem Schweigen sein, wo dies Wort gehört werden soll. Man kann diesem Wort mit nichts besser nahen als mit Stille und mit Schweigen: dann kann man es hören und alsdann versteht man es ganz in dem Unwissen. Wenn man nichts weiss, dann zeigt und offenbart es sich.
Nun könntet ihr sagen: Herr, ihr setzt all unser Heil in ein Unwissen. Das klingt wie ein Mangel. Gott hat den Menschen geschaffen, dass er wisse; wo Unwissen ist, da ist Verneinung und Leere. Der Mensch ist, das muss wahr sein, ein Tier, ein Affe, ein Tor, solange er im Unwissen verharrt. Das Wissen aber soll sich formen zu einer Ueberform, und dies Unwissen soll nicht vom Nichtwissen kommen, vielmehr: vom Wissen soll man in ein Unwissen kommen. Dann sollen wir wissend werden des göttlichen Unwissens, und dann wird unser Unwissen geadelt und geziert mit dem übernatürlichen Wissen. Und hier wo wir uns empfangend verhalten, sind wir vollkommener als wenn wir wirkten. Darum sprach ein Meister, dass die Kraft des Hörens auf viel höherer Stufe stände als die Kraft des Sehens, denn man lernt mehr Weisheit mit dem Hören als mit dem Sehen und lebt hier mehr in der Weisheit. Man erzählt von einem heidnischen Meister, dass seine Jünger, als er im Sterben lag, in seiner Anwesenheit von viel Kunst und grosser Erkenntnis redeten, da hob er sein Haupt noch als Sterbender auf und hörte zu und sagte: »Fürwahr, ich möchte diese Kunst noch lernen, dass ich sie in der Ewigkeit anwenden kann.« Das Hören bringt mehr herein, aber das Sehen zeigt mehr hinaus. Und darum werden wir im ewigen Leben viel seliger sein in der Kraft des Hörens als in der Kraft des Sehens. Denn das Werk des Hörens des ewigen Wortes ist in mir, und das Werk des Sehens geht von mir, und beim Hören bin ich empfangend, und beim Sehen wirkend.
Unsere Seligkeit aber liegt nicht an unsern Werken, vielmehr daran, dass wir Gott empfangen. Denn um so viel höher Gott steht als die Kreatur, um so viel höher steht das Werk Gottes als das meine. Ja, aus grenzenloser Liebe hat Gott unsere Seligkeit in ein Empfangen gelegt, indem wir mehr empfangen als wirken, und bei weitem mehr nehmen als geben, und jede Gabe bereitet die Empfänglichkeit für eine neue, ja für eine grössere Gabe, eine jede göttliche Gabe erweitert die Empfänglichkeit und die Begehrnis nach einer grösseren Empfängnis. Und darum sagen etliche Meister, dass darin die Seele Gott ebenmässig sei. Denn so grenzenlos Gott im Geben ist, so grenzenlos ist auch die Seele im Vernehmen oder Empfangen. Und wie Gott im Wirken allmächtig ist, so ist die Seele ein Abgrund des Nehmens, und darum wird sie
mit Gott und in Gott überformt. Gott soll wirken und die Seele soll empfangen, er soll in ihr sich selbst erkennen und lieben, sie soll erkennen mit seiner Erkenntnis und soll lieben mit seiner Liebe, und darum ist sie viel seliger vom seinen als vom ihren, und ihre Seligkeit beruht mehr in seinem Wirken als in ihrem.
Den Sankt Dionysius fragten seine Jünger, warum sie alle von Timotheus an Vollkommenkeit überholt würden? Da sprach Dionysius: Timotheus ist ein gottempfangender Mann. Wer sich darauf recht verstünde, der überholte alle Menschen. Und so ist dein Unwissen nicht ein Mangel, sondern deine oberste Vollkommenheit, und dein Nichttun ist so dein oberstes Werk. Und so in dieser Weise musst du alle deine Werke abtun und all deine Kräfte zum Schweigen bringen, wenn du in Wahrheit diese Geburt in dir erleben willst. Willst du den geborenen König finden, so musst du alles, was du sonst vielleicht findest, überholen und zu Boden werfen. Dass wir das alles überholen und verlieren, was diesem geborenen König nicht wohlgefällt, dazu verhelfe uns der, der darum zum Menschenkind geworden ist, damit wir Gotteskind werden. Amen.

3. Von der Dunkelheit

Man liest im Evangelium, als unser Herr zwölf Jahre alt war, da ging er mit Maria und Joseph nach Jerusalem in den Tempel, und als sie von dannen gingen, da blieb Jesus im Tempel, ohne dass sie es wussten, und als sie nach Hause kamen und ihn vermissten, suchten sie ihn unter den Bekannten und Unbekannten und unter den Verwandten und in der Menge und fanden ihn nirgends, sie hatten ihn in der Menge verloren und mussten daher wieder hingehen, von wo sie gekommen waren, und als sie wieder an den Anfang kamen, in den Tempel, da fanden sie ihn.
So ist es in Wahrheit; willst du diese edle Geburt finden, so musst du alle Menge verlassen und musst zum Anfang zurückkehren und in den Urgrund, von dem du ausgegangen bist. Alle Kräfte der Seele und ihr Werk sind bloss Menge; Gedächtnis, Verstand und Wille vermannigfaltigen sich alle, darum musst du sie alle lassen: Sinnlichkeit, Vorstellungen und alles, worin du dich selbst findest oder suchst. Dann kannst du diese Geburt finden, aber sonst wahrlich nicht. Er ward nie unter Freunden oder Verwandten und Bekannten gefunden, vielmehr verliert man ihn da völlig.
Darum haben wir eine Frage hierüber: ob der Mensch diese Geburt etwa finden könne in etlichen Dingen, die zwar göttlich sind, aber von aussen hineingetragen durch die Sinne, wie einige Vorstellungen von Gott, zum Beispiel, dass Gott gut, weise, barmherzig oder etwas dergleichen ist, was die Vernunft schöpfen kann und was auch göttlich ist: ob man in all diesem diese Geburt etwa finden könne? In Wahrheit, nein! Obwohl das alles gut und göttlich ist, ist es doch alles von aussen durch die Sinne hineingetragen worden: es muss alles von innen auf von Gott herausquellen, wenn diese Geburt eigen und rein hineinleuchten soll, und all dein Werk muss sich hinlegen und all deine Kräfte müssen den seinen dienen und nicht den deinen. Soll dies Werk vollkommen sein, so muss es Gott allein wirken, und du darfst es allein
empfangen. Wo du mit deinem Willen und deinem Wissen wahrhaft ausgehst, da gellt Gott wahrhaft und willig mit seinem Wissen ein und leuchtet da in Klarheit. Wo sich Gott aber wissen will, da kann dein Wissen nicht bestehen und zu nichts dienen. Du brauchst nicht zu wähnen, deine Vernunft könne noch so wachsen, dass du Gott erkennen könntest, sondern wenn Gott in dir göttlich leuchten soll, dazu fördert dich ein natürliches Licht keineswegs, es muss vielmehr zu lauter Nichts werden und völlig ausgehen; und dann kann Gott mit seinem Licht hineinleuchten und bringt all das mit sich, das dir allsgegangen ist, und tausendfach mehr, und eine neue Form dazu, die alles in sich schliesst.
Nun könntest du sagen: »Wahrlich, Herr, was soll dann meine Vernunft, wenn sie so untätig stehn muss ohne alles Wirken? Ist das der nächste Weg, dass ich mein Bewusstsein zu einer unerkannten Erkenntnis erhebe, die es doch nicht geben kann? Denn erkennte ich etwas, so wäre es nicht Unerkanntheit und wäre nicht frei und losgelöst: soll ich denn ganz und gar in Dunkelheit stehen?« Ja gewiss, du wirst nie besser stehn können als wenn du dich völlig in Dunkelheit und Unwissen setzest. »Ach, Herr, muss ich alles abtun, lässt sich das gar nicht wenden?« Nein, wahrhaftig, das lässt sich wirklich nicht wenden. »Was ist aber diese Dunkelheit, wie heisst sie oder wie ist ihr Name?« Ihr Name ist lediglich: Möglichkeit des Empfangens, das der seienden Dinge nicht bedürftig ist und dahin sollst du gebracht werden. Und das lässt sich nicht ändern. Wie die Materie nicht ruhet, bis sie mit allen Formen erfüllt ist, so ruht auch die Vernunft nimmer, bis sie erfüllt ist mit allem, was in ihr möglich ist.
Es spricht ein heidnischer Meister: Die Natur hat nichts, was rascher wäre als der Himmel, der überrascht alle Dinge mit seinem Lauf. Aber sicherlich! des Menschen Bewusstsein überrascht ihn noch mit seinem Lauf. Bliebe es in seinem Vermögen wirksam und hielte es sich unverhöhnt und unzerrissen von niedern und groben Dingen, es flöge höher als der höchste Himmel und liesse nimmer ab, es käme in das Allerhöchste und würde da gespeist und geführt von dem allerbesten Gut, das Gott ist.
Und darum ist es nützlich, dieser Möglichkeit nachzufolgen, und sich frei und losgelöst zu halten, und allein dieser Dunkelheit und diesem Unwissen nachzufolgen und nachzuhängen und nachzuspüren und nicht davon abzulassen, so ist es dir wohl möglich, den zu erreichen, der alle Dinge ist. Und je mehr in dir selbst Wüste ist und Unwissenheit aller Dinge, je näher kommst du diesem. Von dieser Wüste steht bei Jeremias geschrieben: »Ich will meine Freundin in die Wüste führen und in ihrem Herzen mit ihr sprechen.« Das wahre Wort der Ewigkeit wird allein in der Ewigkeit ausgesprochen, wo der Mensch Wüste ist und seiner selbst und aller Mannigfaltigkeit entfremdet. Nach dieser Wüste und Fremde begehrte der Prophet, als er sprach: »Ach, wer gibt mir Flügel wie die Taube hat, auf dass ich fliegen könnte, wo ich Ruhe finde?« Wo findet man Ruhe und Rast? Wahrlich, da wo man aller kreatürlichen Dinge entworfen und entwüstet und entfremdet ist. In diesem Sinne sagt David: »Ich erwählte lieber, verworfen und verschmäht zu sein im Haus meines Gottes, als grosse Ehren und Reichtum zu haben in der Taberne der Sünder.«
Nun könntest du sagen: »Fürwahr, Herr, muss das immer und notwendig so sein, dass man aller Dinge entfremdet und zerwüstet ist, äusserlich und innerlich, der Kräfte und ihrer Werke, muss das alles hinab? Das ist ein schwerer Stand, wenn Gott den Menschen so ohne seinen Aufenthalt lässt, wenn Gott der Menschen Verlassenheit so dehnt, dass er nicht in ihm ist, leuchtend oder zusprechend oder wirkend, wie Ihr hier lehret und meinet. Wenn der Mensch so in lauter Nichts steht, ist es dann nicht besser, dass er etwas tue, um diese Dunkelheit und Entfremdung zu vertreiben, zum Beispiel, dass er bete oder lese oder eine Predigt höre oder andere Werke tue, was doch Tugenden sind, mit denen man sich helfen soll?« Nein, das sollst du in Wahrheit wissen: ganz und sehr stille und ganz und gar leer zu verharren ist dein allerbestes.
Das merke. Ohne Schaden kannst du dich nicht wieder irgend zu Dingen wenden. Das ist sicher: du wärest gern bereit, ein Teil von dir und ein Teil von ihm, das aber kann nicht sein. Du kannst des Bereitseins nicht einmal denken oder begehren, wenn nicht Gott vorher, da ist. Gesetzt aber, es sei geteilt, das Bereitsein und das Wirken oder Eingiessen sei dein und sein, was ja möglich ist, so musst du wissen, dass Gott wirken und eingiessen muss, sobald er dich bereit findet. Du darfst nicht wähnen, es sei mit Gott wie mit der Person eines Zimmermanns, der wirkt und nicht wirkt wie er will, es steht in seinem Willen, wie er Lust hat zu tun und zu lassen. So steht es aber nicht um Gott: sondern wenn Gott dich bereit findet, so muss er wirken und sich in dich ergiessen, ebenso wie wenn die Luft lauter und rein ist, die Sonne sich ergiessen muss und sich dessen nicht enthalten kann. Fürwahr, es wäre ein arg grosser Fehler an Gott, wenn er nicht grosse Werke in dich wirkte und grosses Gut in dich gösse, sowie er dich frei und entblösst findet.
Es lehren uns die Meister, dass in demselben Moment, wo die Materie des Kindes im Mutterleib bereit ist, in demselben Augenblick giesst Gott in den Leib den lebendigen Geist, das heisst die Seele, die des Leibes Form ist. Es ist ein Augenblick bereit zu sein und einzugiessen. Wenn die Natur auf ihr Höchstes kommt, so tritt Gottes Gnade ein: in demselben Moment, wo der Geist bereit ist, geht Gott hinein ohne Aufschub und ohne Zögern. Im Buch der Geheimnisse steht geschrieben, dass unser Herr dem Volke entbot: »Ich stehe vor der Tür und klopfe und warte, wer mich einlässt, mit dem will ich schmausen.« Du brauchst ihn nicht zu suchen, nicht da und nicht dort: er ist nicht entfernter als vor der Türe des Herzens, da steht er und harrt und wartet, wen er bereit findet, der ihm auftue und ihn einlasse. Du brauchst ihn nicht in der Ferne zu rufen: ihn kommt das Warten, bis du auftust, härter an als dich. Er bedarf deiner tausendmal mehr als du seiner: das Auftun und das Hineingehen ist nur ein Moment.
Nun könntest du fragen: Wie kann das sein? Ich empfinde ihn doch nicht. Nun pass auf. Das Empfinden ist nicht in deiner Gewalt, sondern in seiner. So es ihm ansteht, so zeigt er sich, und kann sich verbergen, so er will. Das musst du wissen: Gott kann nichts leer oder hohl lassen; dass irgend das geringste leer oder hohl sei, das kann der Naturgott nicht leiden. Darum, wenn es dich dünkt, du fändest ihn nicht und er sei nicht in dir, dem ist nicht so. Denn wäre irgend etwas leer unterm Himmel, es wäre was es wollte, gross oder klein, so zöge es entweder der Himmel zu sich hinauf, oder er müsste sich herniederneigen und den Himmel hineingiessen. Gott, der Meister der
Natur, leidet es durchaus nicht, dass irgend etwas leer sei. Darum steh still und wanke nicht, denn du kannst dich zur Stunde von Gott abwenden und kommst dann nimmermehr zu ihm.
Du könntest fragen: Soll der Mensch sich kasteien, und versäumt er etwas, wenn er sich nicht in der Busse übt? Höre. Alles Bussleben ist neben andern Ursachen darum erfunden, sei es nun Fasten, Wachen, Beten, Geisseln, härene Hemden tragen, hart liegen oder was sonst immer, das ist alles darum erdacht, weil der Leib und das Fleisch sich allezeit dem Geist entgegengestellt. Der Leib ist ihm viel zu stark, ein richtiger Kampf ist immerzu unter ihnen, ein ewiger Streit. Der Leib ist hier kühn und stark, denn er ist hier zu Hause, die Welt hilft ihm, die Erde ist sein Vaterland, ihm helfen hier alle seine Verwandten: die Speise, der Trank, die Schönheit: das ist alles gegen den Geist. Der Geist ist hier fremd, aber im Himmel sind alle seine Verwandten und sein ganzes Geschlecht: da ist er gar heimisch. Um dem Geist zu Hilfe zu kommen in dieser Fremde und das Fleisch etwas zu schwächen in diesem Streit, damit der Leib den Geist nicht überwindet, darum tut man ihn den Zaum der Bussübungen an und darum bedrückt man ihn, damit der Geist sich seiner erwehren könne. Da man ihm das tut, damit er ein Gefangener sei, so lege ihm, wenn du ihn tausendmal besser fangen und beladen willst, den Zaum der Liebe an. Mit der Liebe überwindest du ihn am allerschnellsten und mit der Liebe belädst du ihn am stärksten. Und darum stellt uns Gott mit keinen Dingen so sehr nach, wie mit der Liebe. Denn mit der Liebe geht es just ebenso, wie mit der Angel des Fischers. Der Fischer kann den Fisch nicht erhalten, wenn der sich nicht an der Angel fängt. Wenn er nach der Angel schnappt, dann ist der Fischer seiner sicher: wohin sich der Fisch dann wendet, hin oder her, der Fischer hat ihn ganz sicher. So spreche ich auch von der Liebe: wer von ihr gefangen wird, der hat das allerstärkste Band und doch eine süsse Bürde. Wer diese süsse Bürde auf sich genommen hat, der erreicht damit mehr und kommt weiter damit als mit all der Busse und Strenge, die je Menschen üben könnten. Er kann auch sanft und geduldig alles tragen und leiden, was ihn trifft und was Gott über ihn verhängt. Nichts macht dich Gott so eigen, und durch nichts wird Gott dir so eigen als durch dieses süsse Band. Wer diesen Weg gefunden hat, der suche keinen andern. Wer an dieser Angel haftet, der ist so gefangen, dass der Fuss und die Hand, der Mund, die Augen, das Herz und alles was am Menschen ist, das muss alles Gott zu eigen sein. Und darum kannst du diesen Feind niemals besser überwinden, dass er dir nicht schade, als mit der Liebe. Wer in diesem Stricke gefangen ist und in diesem Wege wandelt, welch Werk er immer wirke, das wirkt die Liebe. Seine Ruhe ist besser als eines andern Wirken. Darum warte allein auf diese Angel, so wirst du selig gefangen, und je mehr gefangen desto mehr befreit. Dass wir so gefangen und befreit werden, dazu verhelfe uns der, der selber die Liebe ist. Amen.

4. Von stetiger Freude

Die Seele hat etwas in sich, ein Fünklein der Vernüftigkeit, das nimmer erlischt, und in dies Fünklein versetzt man das Bild der Seele als in das oberste Teil des Bewusstseins; und es ist auch ein Erkennen in unsern Seelen, das äussern Dingen achgeht, nämlich das sinnliche und Verstandeserkennen, das in Gleichnissen und in der Sprache vor sich geht, das verbirgt uns dies. Wie sind wir Söhne Gottes? Das ist, dass wir ein Wesen haben mit ihm. Doch was wir darunter verstehen, dass wir Söhne Gottes sind, das ist zu verstehen von dem äussern Verstehen und von dem innern Verstehen. Das innere Erkennen ist, was sich vernünftig fundieret auf das Wesen unserer Seele. Doch ist es nicht das Wesen der Seele, es ist vielmehr darein gewurzelt und ist etwas vom Leben der Seele. Wir sagen, dass das Verstehen etwas Lebendes der Seele sei, das heisst vernünftiges Leben, und in diesem Leben wird der Mensch geboren zu Gottes Sohn und zu dem ewigen Leben, und dies Erkennen ist ohne Zeit, ohne Raum, und ohne Hier und ohne Jetzt. In diesem Leben sind alle Dinge eins und alle Dinge gemeinsam, alle Dinge alles in allem und allem geeinigt.
Gott macht, dass wir ihn selbst erkennen, und sein Wesen ist sein Erkennen, und es ist dasselbe, dass er mich erkennend macht, und dass ich erkenne, und darum ist sein Erkennen mein: wie das, was der Meister lehrt und der Schüler gelehrt wird, ein und dasselbe ist. Und wenn also sein Erkennen mein ist, und wenn seine Substanz sein Erkennen ist und seine Natur und sein Wesen, so folgt daraus, dass sein Wesen und seine Substanz und seine Natur mein ist. Und wenn also seine Substanz, sein Wesen und seine Natur mein ist, so bin ich der Sohn Gottes. Seht, Brüder, welche Liebe uns Gott geschenkt hat, dass wir Sohn Gottes heissen und sein eigen.
Merkt, wie wir Söhne Gottes werden: wenn wir dasselbe Wesen haben, das der Sohn hat. Wie ist man der Sohn Gottes oder wie weiss man es, wenn Gott niemandem gleich ist? Das ist wahr. Wenn es also Gottes Natur ist, dass er niemandem gleich ist, so ist es notwendig, dass wir dazu kommen, dass wir nichts sind, auf dass wir in dasselbe Wesen gesetzt werden können, das er selbst ist. Daher kann ich, wenn ich dazu komme, dass ich mich in Nichts umbilde und Nichts in mich umbilde, und hinaustrage und hinauswerfe, was in mir ist, in das reine Wesen des Geistes versetzt werden. Da muss alles ausgetrieben werden, was Gleichnis ist, dass ich in Gott verwandelt werde und eins mit ihm werde und eine Substanz und ein Wesen und eine Natur und der Sohn Gottes. Und wenn das geschehen ist, dann ist nichts in Gott verborgen, was nicht offenbar wird und was nicht mein wird. Denn dann werde ich weise und mächtig und ganz wie er und ein und dasselbe mit ihm. Dann wird Zion ein Wahrsehender, ein wahrer Israel, das heisst ein sehender Mann: Gott, denn ihm ist nichts verborgen in der Gottheit. Da wird der Mensch in Gott geführt. Aber damit mir nichts verborgen bleibe und alles offenbar werde, darf in mir kein Gleichnis und kein Bild mehr vorhanden sein, denn kein Bild kann uns die Gottheit oder sein Wesen öffnen. Bliebe irgend ein Bild in dir oder irgend ein Gleichnis, so würdest du nimmer eins mit Gott. Damit du also mit Gott eins seist, darf nichts in dir eingebildet oder ausgebildet sein, das heisst, alles was in dir verborgen ist, muss offen und hinausgeworfen werden.
Es gibt zweierlei Geburt der Menschen: eine in der Welt und eine aus der Welt, das heisst geistig in Gott. Willst du wissen, ob dein Kind geboren werde und ob es entledigt sei, das heisst, ob du zu Gottes Sohn gemacht seist: solange du Leid in deinem Herzen hast um irgend ein Ding [es sei denn um Sünde], solange ist dein Kind nicht geboren. Hast du Herzeleid, so bist du nicht Mutter, du bist vielmehr in der Gebarung und nahe der Geburt. Daran darfst du nicht zweifeln, wenn du traurig bist um dich oder um deinen Freund, so ist es nicht geboren, es ist aber nahe an der Geburt. Aber dann ist es vollkommen geboren, wenn der Mensch von Herzen kein Leid empfindet um irgend ein Ding: dann hat der Mensch das Wesen und die Natur und die Substanz und die Weisheit und die Freude und alles was Gott hat, dann wird dieses Wesen des Sohnes Gottes unser und in uns, und wir kommen in dieses Wesen Gottes.
Christus sagt: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und hebe sein Kreuz auf und folge mir.« Das heisst: Wirf alles Herzeleid hinaus, auf dass in deinem Herzen nichts als stetige Freude sei. Dann ist das Kind geboren. Wenn dieses Kind in mir geboren ist, sähe ich gleich meinen Vater und alle meine Freunde vor meinen Augen tot, mein Herz wäre darum nicht bewegt. Aber würde mein Herz von diesem bewegt, so wäre das Kind in mir nicht geboren, aber vielleicht wäre es nahe der Geburt. Ich sage, Gott und die Engel haben so grosse Freude über jedes Werk eines guten Menschen, dass dem keine Freude zu vergleichen ist. Darum sage ich: wenn das Kind in dir geboren wird, so hast du so grosse Freude über jedes gute Werk, das in dieser Welt geschieht, dass deine Freude die allergrösste Stetigkeit wird, so dass sie sich nicht ändert. Und bin ich ganz in das göttliche Wesen verwandelt, so wird Gott mein und alles was er hat. Dann habe ich rechte Freude, die nicht Leid noch Pein von mir nehmen kann, denn dann bin ich in das göttliche Wesen versetzt, wo kein Leiden Platz hat. Wenn du also dazu kommst, dass du um nichts mehr Leid noch Kummer trägst und dass dir alles eine reine Freude ist, dann ist das Kind in Wahrheit geboren. Dass uns dies widerfahre, das walte Gott. Amen.

5. Von der Stadt der Seele

Intravit Jesus in quoddam castellum et mulier qaedam excepit illum etc. (Luc. X, 38). Ich habe eben ein Wörtlein auf lateinisch gesprochen, das im Evangelium steht und auf deutsch also heisst: »Unser Herr Jesus Christus ging in ein Städtchen und ward von einer Jungfrau empfangen, die ein Weib war.«
Fürwahr, achtet nun aufmerksam dieses Worts. Es muss notwendig so sein, dass der Mensch, von dem Jesus empfangen ward, eine Jungfrau war. Jungfrau heisst soviel, wie ein Mensch, der aller fremden Bilder ledig ist, so ledig wie er war als er nicht war. Seht, nun könnte man fragen: Der Mensch, der geboren und zu vernünftigem Leben vorgeschritten ist, wie kann der so frei von allen Bildern sein, wie damals als er nicht war, da er doch viel weiss, und das sind alles Bilder: wie kann er dann frei sein?
Nun achtet auf die Unterscheidung, auf die ich euch hinweisen will. Wäre ich so vernünftig, dass alle Bilder, die je Menschen empfangen haben, und die in Gott selbst sind, vernünftig in mir stünden, und zwar, dass ich sie, im Tun und im Lassen, ohne Eigenschaft begriffen hätte, ohne Vor und ohne Nach, dass sie vielmehr in diesem gegenwärtigen Nil frei und ledig nach dem liebsten Willen Gottes stünden, um dem ohne Unterlass nachzukommen, dann wäre ich in Wahrheit Jungfrau, unbehindert von allen Bildern, und wahrlich so wie ich war als ich nicht war. Wie die Meister sagen, dass gleich und gleich allein eine Sache der Einheit sei, so muss auch der Mensch keusch sein und Jungfrau, der den keuschen Jesus empfangen will.
Ich sage ferner, dass eine Kraft in der Seele ist, die nicht Zeit noch Fleisch berührt, sie fliesst aus dem Geiste und bleibt in dem Geiste und ist ganz geistig. In dieser Kraft ist Gott allzumal grünend und blühend in aller Freude und in aller Ehre, wie er in sich selber ist. Da ist so herzliche Freude und so unbegreiflich grosse Freude, dass niemand genug davon sagen kann. Denn der ewige Vater gebiert seinen ewigen Sohn in dieser Kraft ohne Unterlass, so dass diese Kraft den Sohn des Vaters mitgebären hilft und sich selber denselben Sohn in der einigen Kraft des Vaters.
Und hätte ein Mensch ein ganzes Königreich oder allen Reichtum der Erde, und liesse das rein um Gottes willen und würde einer der ärmsten Menschen, der je auf Erden lebte, und gäbe ihm dann Gott so viel zu leiden, als er je Menschen auferlegt hat, und litte er alles dies bis an seinen Tod, und gäbe ihm dann Gott einen Augenblick zu schallen, wie er in dieser Kraft ist: seine Freude würde so gross, dass all dies Leiden und diese Armut dann noch zu klein wäre. Ja, gäbe ihm Gott gar hernach kein Himmelreich mehr, er hätte dann doch noch zu grossen Lohn empfangen für alles, was er je gelitten: denn Gott ist in dieser Kraft wie in dem ewigen Nu. Wäre der Geist allezeit mit Gott in dieser Kraft vereint, der Mensch könnte nicht altern. Denn das Nu, worin Gott den ersten Menschen machte, und das Nu, worin der letzte Mensch vergehen soll, und das Nu, worin ich spreche, die sind gleich in Gott, und es ist nichts als ein Nu. Nun seht, dieser Mensch wohnt in einem Licht mit Gott, darum ist in ihm weder Empfangen noch Nachfolgten, sondern eine gleiche Ewigkeit. Diesem Menschen ist in Wahrheit gar viel abgenommen und alle Dinge stehen wesenhaft in ihm. Darum empfängt er nichts Neues von künftigen Dingen und von keinem Zufall, denn er wohnt in einem Nu, allezeit neu grünend und ohne Unterlass. Solche göttliche Herrlichkeit ist in dieser Kraft.
Noch eine Kraft gibt es, die auch unkörperlich ist: sie fliesst aus dem Geiste und bleibt im Geiste und ist ganz geistig. In dieser Kraft ist Gott ohne Unterlass glimmend und brennend mit all seinem Reichtum, mit all seiner Süssigkeit und mit all seiner Wonne. Wahrlich, in dieser Kraft ist so grosse Freude und so grosse masslose Wonne, dass niemand wahr genug davon sprechen und künden kann. Ich sage aber, gäbe es einen einzigen Menschen, der hierin einen Augenblick in Wahrheit und vernünftig die Wonne und die Freude schaute: alles was er leiden könnte und was Gott von ihm gelitten haben wollte, das wäre ihm alles wenig und sogar nichtig, ja ich sage: es wäre ihm zumal eine Freude und eine Wohltat.
Ich habe manchmal gesagt, es sei eine Kraft im Geiste, die allein frei sei. Zu Zeiten habe ich gesagt, es sei eine Hütte des Geistes; zu Zeiten habe ich gesagt, es sei ein Licht des Geistes; zu Zeiten habe ich gesagt, es sei ein Fünklein. Ich sage aber jetzt: es ist weder dies noch das. Es ist überhaupt kein Etwas; es ist höher über dies und das als der Himmel über der Erde. Darum nenne ich es jetzt in einer edleren Weise als ich es früher nannte, und doch geht es über Edelkeit und Gradunterschiede und Weisen hinaus und ist darüber erhoben. Es ist von allen Namen frei und von allen Formen ganz los, ledig und frei, wie Gott in sich selbst ledig und frei ist. Es ist so ganz eins und einfach, wie Gott eins und einfach ist, dass man auf keine Weise es anschaulich machen kann. Dieselbe Kraft, von der ich gesprochen habe, in der ist Gott blühend und grünend mit all seiner Gottheit und der Geist in Gott, in derselben Kraft, worin der Vater seinen eingeborenen Sohn gebiert, wahrlich wie in sich selber, und der Geist gebiert mit dem Vater denselben Sohn und sich selber, und ist derselbe Sohn in diesem Licht, und ist die Wahrheit. Könntet ihr mit meinem Herzen zuhören, ihr verstündet wohl, was ich spreche, denn es ist wahr, und die Wahrheit spricht es selbst.
Seht, nun passt auf, so eins und einfach ist diese Stadt in der Seele, von der ich euch spreche, und die ich meine, und über alle Weise erhaben, dass die edle Kraft, von der ich gesprochen habe, nicht würdig ist, jemals einen Augenblick ineinzublicken, und ebenso die andere Kraft, worin Gott glimmt und brennt, die darf auch niemals hineinblicken, so gar eins und einfach ist diese Stadt, und so über aller Weise und allen Kräften ist dies einig Eine, dass ihm niemals Kraft oder Weise zuschauen kann, ja nicht einmal Gott selbst. Mit guter Wahrheit! und so wahr Gott lebt, Gott selbst schaut niemals einen Augenblick hinein und hat nie hineingesehen, insfern er sich darstellt in einer Weise und in der Eigenschaft seiner Personen.
Dies ist gut zu verstehen, denn dies einig Eine ist ohne Weise und ohne Eigenschaft. Und wenn daher Gott jemals hineinblicken soll, so muss es ihn alle seine göttlichen Namen und seine persönliche Eigenschaft kosten: das muss er alles vorher lassen, wenn er je hineinblicken soll. Wie er einfach eins ist, ohne alle Weise und Eigenschaft: da ist er nicht Vater und nicht Sohn und nicht heiliger Geist in diesem Sinne, und ist doch ein Etwas, das nicht dies und nicht das ist.
Seht, so wie er eins ist und einfach, so kommt er in das Eine, das ich eine Stadt in der Seele heisse, und sonst kommt er auf keine Weise hinein: sondern so kommt er hinein und ist darin. In diesem Stück ist die Seele Gott gleich und auf keine andere Weise. Was ich euch gesagt habe, ist wahr: dafür stelle ich euch die Wahrheit als Zeugen und meine Seele als Pfand. Dass wir eine solche Stadt seien, in der Jesus eingeht und empfangen werde und ewig in uns bleibe in der Weise, wie ich gesagt habe, das walte Gott. Amen.

6. Vom namenlosen Gott

Unser Herr sprach: »Frau, die Zeit wird kommen und ist schon jetzt, wo die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten, und solche suchet der Vater.«
Nun achtet auf das erste Wörtlein, wo er spricht: »Die Zeit wird kommen und ist schon jetzt.« Wer da den Vater anbeten will, der muss sich in die Ewigkeit versetzen mit seinem Begehren und mit seiner Zuversicht. Es gibt einen obersten Teil der Seele, der steht über der Zeit und weiss nichts von der Zeit noch vom Leibe. Alles was je geschah vor tausend Jahren, der Tag, der vor tausend Jahren war, der ist in der Ewigkeit nicht ferner, als diese Stunde, wo ich jetzt stehe, und der Tag, der nach tausend Jahren kommen wird oder soweit du zählen kannst, der ist in der Ewigkeit nicht ferner als diese Stunde, worin ich jetzt stehe.
Nun spricht er: »Die beten an den Vater.« Ach, wie viele gibt es, die beten die Kreatur an und kümmern sich darum, und das sind gar törichte Leute. Sobald
du Gott anbetest um der Kreatur willen, so bittest du um deinen eigenen Schaden, denn sobald die Kreatur Kreatur ist, trägt sie Bitterkeit und Schaden und Uebel und Ungemach in sich. Und darum geschieht den Leuten ganz recht, die Ungemach und Bitterkeit davon haben. Warum? Sie haben darum gebeten.
Alle Dinge, die in der Zeit sind, haben ein Warum. Wie der, der einen Menschen fragte: »Warum issest du?« »Damit ich Kraft habe.« »Warum schläfst du?« »Aus demselben Grunde.« Und so sind alle Dinge, die in der Zeit sind. Aber wer einen guten Menschen fragte: »Warum liebst du Gott?« »Ich weiss nicht, um Gottes willen.« »Warum liebst du die Wahrheit?« »Um der Wahrheit willen.« »Warum liebst du die Gerechtigkeit?« »Um der Gerechtigkeit willen.« »Warum liebst du die Güte?« »Um der Güte willen.« »Warum lebst du?« »Wahrlich, ich weiss nicht! Ich lebe gerne.«
Die Meister sagen, die Seele habe zwei Gesichter, und das obere Gesicht schauet allezeit Gott, und das niedere Gesicht blickt etwas herab und das berichtet die Sinne, und das oberste Gesicht ist das oberste der Seele, das steht in der Ewigkeit und hat nichts mit der Zeit zu schaffen und weiss nichts von der Zeit und vom Leibe. Und ich habe manchmal gesagt, dass darin etwas verborgen liege wie ein Ursprung alles Guten und wie ein leuchtendes Licht, das allezeit leuchtet, und wie ein brennender Brand, der allezeit brennt, [und der Brand ist nichts anderes als der heilige Geist.
Die Meister sagen, aus dem obersten Teil der Seele, fliessen zwei Kräfte. Die eine heisst Wille, die andere Vernunft, und die Vollkommenheit der Kräfte liegt in der obersten Kraft, die da Vernunft heisst. Die kann nimmer ruhen. Sie will nicht Gott wie er der heilige Geist ist und wie er der Sohn ist, und fliehet den Sohn. Sie will auch nicht Gott wie er Gott ist. Warum? Da hat er Namen, und wären tausend Götter, sie bricht sich immer mehr Bahn, sie will ihn da, wo er keine Namen hat: sie will etwas Edleres, etwas Besseres als Gott, wie er Namen hat. Was will sie denn? Sie weiss nicht: sie will ihn, wie er Vater ist. Sie will ihn, wie er ein Grund ist, aus dem Güte entspringt; sie will ihn, wie er ein Kern ist, aus dem Güte fliesst; sie will ihn wie er eine Wurzel ist, eine Ader, in der Güte entspringt, und da ist er allein Vater. Nun spricht unser Herr: »Es erkennet niemand den Vater als der Sohn, und den Sohn niemand als der Vater.« In Wahrheit, wenn wir den Vater erkennen wollen, so müssen wir Sohn sein. Ich habe einmal drei böse Wörtlein gesprochen, die mögt ihr als drei böse Gewürze aufnehmen, auf die ihr trinken müsst. Zum ersten, wollen wir Sohn sein, so müssen wir einen Vater haben. Denn des Sohnes Leben hängt an dem Vater, und des Vaters Leben hängt an dem Sohn, und darum kann niemand sagen: ich bin Sohn, wenn er keinen Vater hat, und der Mensch ist in Wahrheit Sohn, der da alle seine Werke aus Liebe wirkt. – Das weite, was den Menschen allermeist zum Sohn macht, das ist Gleichmut. Ist er krank, so sei er ebenso gern krank wie gesund, gesund wie krank. Stirbt ihm ein Freund, in Gottes Namen; wird ihm ein Auge ausgeschlagen, in Gottes Namen. – Das dritte, was ein Sohn haben soll, das ist, dass er sein Antlitz nach nichts mehr wendet als nur nach dem Vater. O, wie edel ist die Kraft, die da über der Zeit steht und die da ohne Raum steht! Denn damit, dass sie über der Zeit steht, hat sie alle Zeit in sich geschlossen und ist alle Zeit, und wie wenig einer auch von dem hätte, was über der Zeit steht, der wäre gar bald reich geworden, denn was jenseits des Meeres ist, ist der Kraft nicht ferner als was jetzt gegenwärtig ist. Und von denen spricht er »Solche suchet der Vater.«
Seht, so liebkost uns Gott, so flehet uns Gott an und Gott kann nicht warten, bis sich die Seele geschmückt und von der Kreatur zornig entfernt hat, und es ist eine sichere und eine notwendige Wahrheit, dass es Gott so not tut, uns zu suchen, als ob all seine Gottheit daran hange, wie es auch der Fall ist. Und Gott kann unser so wenig entbehren, wie wir seiner, und könnte es auch sein, dass wir uns von Gott abwenden könnten, so könnte sich doch Gott nimmer von uns abwenden. Ich sage, ich will Gott nicht bitten, dass er mir gebe, ich will ihn auch nicht loben für das, was er mir gegeben hat, sondern ich will ihn bitten, dass er mich würdig mache zu empfangen, und will ihn loben, dass er die Natur und das Wesen hat, dass er geben muss. Wer das Gott nehmen wollte, der nähme ihm sein eigenes Wesen und sein eigenes Leben. Dass wir so in Wahrheit Sohn werden, dazu verhelfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.

7. Vom innersten Grunde

Es spricht ein Meister: »Gott ist ein Mensch geworden, davon ist das ganze Menschengeschlecht erhöht und geehrt. Darüber können wir uns wohl freu-
en, dass Christus, unser Bruder, aus eigener Kraft über alle Chöre der Engel gefahren ist und zur rechten Hand des Vaters sitzt.« Dieser Meister hat recht gut gesprochen; aber wahrlich, ich mache mir nicht viel daraus. Was hülfe es mich, wenn ich einen Bruder hätte, der ein reicher Mann wäre und ich ein armer, er weise und ich ein Tor? Ich spreche etwas anderes und dringenderes: Gott ist nicht allein Mensch geworden, sondern er hat menschliche Natur angenommen.
Es sagen die Meister gewöhnlich, alle Menschen seien gleich edel von Natur. Aber ich sage wahrhaftig:alles Gute, was alle Heiligen besessen haben, und Maria die Gottesmutter, und Christus gemäss seines Menschtums, das ist mein eigen in dieser Natur. Wo der Vater seinen Sohn im Innersten Grunde gebiert, da hat diese Natur ein Hineinschweben. Diese selbe Natur ist eins und einfach. Hier kann wohl etwas herausschauen und herzuhängen, das ist das eine Nichts.
Ich spreche von einem anderen und von einem schwereren. Wer in der Nacktheit dieser Natur ohne Mittel dastehn soll, der muss aus aller Person herausgegangen sein, so dass er dem Menschen, der jenseits des Meeres ist, den er nie von Angesicht erblickt hat, ebensosehr Gutes gönnt als dem, der bei ihm ist und sein trauter Freund ist. Solange du deiner Person mehr Gutes gönnst als dem Menschen, den du nie gesehen, solange bist du wahrlich im Unrecht und du schautest nie einen Augenblick in diesen einfachen Grund. Du hast freilich in einem abgezogenen Bild die Wahrheit wie in einem Gleichnis gesehen, es war aber nicht das beste. Zum zweiten sollst du reines Herzens sein, und das Herz ist allein rein, das alle Erschaffenheit vernichtet hat. Zum dritten sollst du das Nichts los sein.
Es ist eine Frage, was in der Hölle brenne? Die Meister sagen gewöhnlich: Das tut der Eigenwille. Aber ich sage wahrlich: das Nichts brennt in der Hölle. Ein Gleichnis: Man nehme eine brennende Kohle und lege sie auf meine Hand. Sagte ich, die Kohle brenne meine Hand, so täte ich ihr gar unrecht. Soll ich eigentlich sagen, was mich brennt? Das tut das Nichts, weil die Kohle etwas in sich hat, was meine Hand nicht hat. Seht, eben dieses Nichts brennt mich. Denn hätte meine Hand alles das in sich, was die Kohle ist und leisten kann, so hätte sie völlige Feuernatur. Wenn einer dann alles Feuer, das je brannte, nähme und auf meine Hand schüttete, so könnte es mich nicht schmerzen. In gleicher Weise also spreche ich: Weil Gott und alle die, die im Angesicht Gottes sind, in der rechten Seligkeit etwas in sich haben, was die nicht haben, die von Gott getrennt sind, dieses Nichts allein peinigt die Seelen mehr, die in der Hölle sind, als Eigenwille oder irgend ein Feuer. Ich sage wahrlich: so viel Nichts dir anhaftet, so sehr bist du unvollkommen. Wollt ihr darum vollkommen sein, so müsst ihr das Nichts los sein. Darum heisst ein Wörtlein: »Gott hat seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt,« das sollt ihr nicht für die äussere Welt verstehn, wie er mit uns ass und trank, ihr sollt es für die innere Welt verstehn. So wahr der Vater mit seiner einfachen Natur den Sohn natürlich gebiert, so wahr gebiert er ihn in des Geistes Innigstem, und das ist die innere Welt. Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund. Hier lebe ich ausser meinem Eigenen, wie Gott ausser seinem Eigenen lebt. Wer nur einen Augenblick in diesen Grund geblickt hat, dem Menschen sind tausend Pfund rotes geschlagenes Gold nicht mehr als ein falscher Heller. Aus diesem Innersten Grund heraus sollst du alle deine Werke wirken ohne ein Warum. Ich sage wahrlich: solange du deine Werke um des Himmelreichs, oder um Gottes, oder um deiner ewigen Seligkeit willen von aussen her wirkst, so lange bist du wahrlich im Unrecht. Man kann dich freilich so hingehn lassen, aber es ist nicht das Beste. Denn wahrlich, wenn du glaubst, du gelangest durch Innigkeit, durch Andacht, durch Willfährigkeit oder besondere Anstalten eher zu Gott als am Herd oder im Stall, so tust du nichts andres als wenn du Gott nähmest und wickeltest ihm einen Mantel um den Kopf und stecktest ihn unter eine Bank. Denn, wer Gott in einer Weise sucht, der nimmt die Weise und lässt Gott, der in der Weise verborgen ist. Aber wer Gott ohne Weise sucht, der nimmt ihn, wie er an sich selbst ist, und dieser Mensch lebt mit dem Sohne, und er ist das Leben selbst. Wer das Leben tausend Jahr lang fragte: Warum lebst du? wenn es antworten sollte, spräche es nichts anderes als: Ich lebe darum, weil ich lebe. Das kommt daher, dass das Leben aus seinem eigenen Grunde heraus lebt und aus seinem Eigenen quillt: darum lebt es ohne Warum, indem es sich selber lebt. Wer nun einen wahrhaften Menschen, der aus seinem eigenen Grunde heraus wirkt, fragte: Warum wirkst du deine Werke? wenn er recht antworten sollte, spräche er nichts anderes als: Ich wirke, weil ich wirke.
Wo die Kreatur endet, da beginnt Gott zu sein. Nun begehrt Gott nichts anderes von dir, als dass du aus dir selbst, in kreatürlicher Weise, hinausgehst, und Gott Gott in dir sein lassest. Das geringste kreatürliche Bild, das sich in dir bildet, ist ebenso gross wie Gott. Warum? Weil es dich eines ganzen Gottes beraubt. Denn wo dies Bild hineingeht, da muss Gott und seine ganze Gottheit weichen. Aber wo dies Bild hinausgeht, da geht Gott hinein. Gott begehrt so gewaltig danach, dass du aus dir selbst, in kreatürlicher Weise, hinausgehst, als ob all seine Seligkeit daran liege. Fürwahr, lieber Mensch, was schadet es dir, dass du Gott gönnest, dass er Gott in dir sei? Geh doch Gott zu lieb aus deinem Selbst heraus, so geht Gott dir zu lieb aus seinem heraus. Wenn diese zwei hinausgehen, was dann zurückbleibt, ist ein einfach Eines. In diesem Einen gebiert der Vater seinen Sohn in dem Innersten Brunnen. Da erblühet der heilige Geist und da entspringt in Gott ein Wille, der der Seele zugehört. Und solange der Wille unberührt von allen Kreaturen und von aller Erschaffenheit steht, so lange ist der Wille frei. Christus spricht: »Niemand kommt in den Himmel, als wer vom Himmel gekommen ist.« Alle Dinge sind aus Nichts erschaffen, darum ist ihr eigentlicher Ursprung Nichts. Insofern sich dieser edle Wille zu den Kreaturen neigt, so verfliesst er mit diesen Kreaturen in ihr Nichts.
Nun ist eine Frage, ob dieser Wille so verfliesse, dass er niemals mehr wiederkommen könne? Die Meister sagen gewöhnlich, er komme nie wieder, in-
sofern er in der Zeit verflossen ist. Aber ich sage: Wenn dieser Wille sich einen Augenblick von sich selbst und von aller Erschaffenheit wieder zu seinem Ursprung hinwendet, so steht der Wille in einer rechten, freien Art da und ist frei, und in diesen Augenblick wird alle verlorene Zeit wiedergebracht. Die Leute sagen oft zu mir: Bittet für mich. Da denke ich: Warum geht ihr heraus? Warum bleibt ihr nicht bei euch selbst und greift in euer eigenes Gut? Ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch. Dass wir so wahrhaft in ihm bleiben und alle Wahrheit ohne Mittel und ungeteilt in rechter Seligkeit besitzen mögen, das walte Gott. Amen.

8. Von der Vollendung der Zeit

»In der Zeit ward der Engel Gabriel gesandt von Gott.« In welcher Zeit? Im sechsten Monat, als Johannes im Mutterleib zappelte. Wenn mich nun einer fragte: Warum beten wir oder warum fasten wir oder wirken wir all unser Werk? so antworte ich: Darum, dass Gott in unserer Seele geboren werde. Warum ist alle Schrift geschrieben und warum hat Gott die Engelsnatur und alle Welt geschaffen? Darum allein, dass Gott in der Seele geboren werde. Alles Kornes Natur meint Weizen, alles Schatzes Natur Gold, alle Gebarung meint Mensch. Wie ein Meister spricht, gibt es kein Tier, das nicht etwas mit dem Menschen in der Zeit gemein hat.
Sankt Paulus spricht: »In der Vollendung der Zeit sandte Gott seinen Sohn.« Sankt Augustin ward gefragt, was das sei, die Vollendung der Zeit? Vollendung der Zeit ist, wenn der Tag nicht mehr ist: dann ist der Tag vollendet. Es ist eine sichere Wahrheit, wo diese Geburt geschehen soll, da muss alle Zeit hinab sein, denn es gibt nichts, was diese Geburt so sehr hindert, als Zeit und Kreatur. Es ist eine notwendige Wahrheit, dass die Zeit an Gott und die Seele nicht rühren kann. Könnte Zeit an die Seele rühren, so wäre sie nicht Seele. Könnte Gott von der Zeit berührt werden, so wäre er nicht Gott.
Eine andere Vollendung der Zeit! Wer die Kunst und die Macht hätte, dass er die Zeit und alles, was in sechstausend Jahren je geschah oder noch geschehen wird bis an das Ende der Welt: wenn einer das heranziehen könnte in ein gegenwärtiges Nu, das wäre Vollendung der Zeit. Das ist das Nu der Ewigkeit, wo die Seele alle Dinge in Gott erkennt, so neu und so frisch und in derselben Lust, wie ich sie jetzt gegen-
wärtig habe. Die mindeste Kraft in meiner Seele ist weiter als der weite Himmel. Ich sehe ab von der Vernunft, in der ist Weite über Weite, in der bin ich so nahe dem Ort, der tausend Meilen weg ist, als dem Ort, worin ich jetzt stehe. Die Meister sagen, die Menge der Engel sei ohne Zahl, ihre Zahl könne nicht begriffen werden. Wer aber ohne Zahl und ohne Menge unterscheiden könnte, dem wäre hundert wie eins. Wären gleich hundert Personen in der Gottheit, so erkennte er doch, dass nur ein Gott ist. Dass Gott in uns geboren werde, das walte Gott. Amen.

9. Ein Zweites vom namenlosen Gott

Wenn die Seele in die namenlose Stadt kommt, da ruht sie aus; wo alle Dinge Gott in Gott sind, da ruhet sie. Die Stadt der Seele, die Gott ist, die ist ungenannt. Ich sage, dass Gott ungesprochen ist. Einen unserer ältesten Meister, der die Wahrheit schon lange und lange vor Gottes Geburt gefunden hat, ehe der Christenglaube vorhanden war, wie er jetzt ist, den dünkte es, dass alles, was er von den Dingen sprechenkönnte, etwas Fremdes und Unwahres in sich trüge; darum wollte er schweigen. Er wollte nicht sagen: Gebt mir Brot, oder gebt mir zu trinken. Aus dem Grunde wollte er nicht von den Dingen sprechen, weil er von ihnen nicht so rein sprechen konnte, wie sie aus der ersten Ursache entsprungen seien: darum wollte er lieber schweigen, und seine Notdurft zeigte er mit Zeichen der Finger. Da nun er nicht einmal von den Dingen reden konnte, so schickt es sich für uns noch mehr, dass wir ganz und gar schweigen müssen von dem, der da ein Ursprung aller Dinge ist.
Nun sagen wir, Gott sei ein Geist. Dem ist nicht so. Wäre Gott eigentlich ein Geist, so wäre er gesprochen. Sankt Gregorius spricht: Wir können von Gott nicht eigentlich sprechen. Was wir von ihm sprechen, das müssen wir stammeln.

10. Von guten Gaben

Ich pflege oft ein Wörtlein zu sprechen und es ist auch wahr: Wir rufen alle Tage und schreien im Paternoster: Herr, dein Wille geschehe! Wenn aber dann sein Wille geschieht, so wollen wir zürnen und ergeben uns nicht in seinem Willen. Was er auch tut, dass müsste uns das Beste dünken und am allerbesten gefallen. Die es so zum besten nehmen, die bleiben allewege in ganzem Frieden. Ihr aber sprecht manchmal: Ach, wäre es anders gekommen, so wäre es besser, oder wäre es nicht so gekommen, so wäre es vielleicht besser gekommen. Solange dich das dünkt, gewinnst du nimmer Frieden. Du sollst es zum allerbesten nehmen.
Ich sprach einst: Was eigentlich gewortet werden kann, das muss von innen herauskommen und von seiner Form ausgehen und darf nicht von aussen hineingehen. Das lebt eigentlich im Innigsten der Seele. Da sind dir alle Dinge gegenwärtig und innerlich lebend und suchend und sind im Besten und im Höchsten. Warum empfindest du das nicht? Da bist du nicht heimisch. Je höher im Rang ein Ding ist, um so allgemeiner ist es. Den Sinn habe ich gemein mit den Tieren und das Leben mit den Bäumen. Das Sein ist mir noch tiefer innen, das habe ich gemein mit allen Kreaturen. Der Himmel ist mehr als alles, was daneben ist, darum ist er auch höher im Range. Die Liebe steht hoch im Rang, weil sie allgemein ist. Es scheint schwer, dass unser Herr geboten hat, man solle den Mitchristen lieben wie sich selbst. Dies fasst der gemeine Mann gewöhnlich so auf, man solle sie in demselben Sinne lieben, in dem man sich selber liebt.
Nein, so soll es nicht sein. Man soll sie ebensosehr lieben wie sich selbst, und das ist nicht schwer. Wollt ihr’s gut merken, so ist es mehr Lohnes wert als ein Gebot. Das Gebot scheint schwer, und der Lohn ist begehrenswert. Wer Gott liebt, wie er ihn lieben soll und muss (ob er will oder nicht), und wie ihn alle Kreaturen lieben, der muss seinen Mitmenschen lieben wie sich selbst und sich seiner Freuden und Ehren freuen und danach trachten wie nach seiner eigenen Ehre, und nach dem Fremden wie nach dem Seinen.
Und so ist der Mensch allezeit in Freuden, in Ehren und in Nutzen, so ist er ganz wie im Himmelreich und so hat er stärkere Freuden, als wenn er sich allein seines Gutes freute.
Und wisse in Wahrheit, ist dir mehr an deiner eigenen Ehre als an der eines andern gelegen, so ist es unrecht. Wisse, wenn du das deine suchst, da findest du Gott nimmer, wenn du nicht rein Gott suchst. Du suchst etwas mit Gott, Lind tust gerade so wie wenn einer aus Gott eine Kerze machte, mit der man etwas sucht, und wenn man das Ding findet, so wirft man die Kerze weg. So tust du: was du mit Gott suchst, das ist nichts, Nutzen, Lohn, Innerlichkeit oder was es auch sei; du suchst nichts, darum findest du auch nichts. Alle Kreaturen sind lauter Nichts. Ich sage nicht, dass sie gering sind oder wenig sind: sie sind gar nichts. Wer kein Sein hat, ist nichts. Alle Kreaturen haben kein Sein, denn ihr Sein hängt an der Gegenwart Gottes. Kehrte sich Gott einen Augenblick ab, sie würden zunichte. Ich sprach manchmal und so ist es auch: Wer die ganze Welt nähme und Gott dazu, der hätte nicht mehr als wenn er Gott allein hätte. Alle Kreaturen haben nicht mehr ohne Gott, als wer eine Mücke hätte ohne Gott, ganz ebenso, nicht weniger und nicht mehr. Fürwahr, nun achtet auf ein wahres Wort.
Gäbe ein Mensch tausend Pfund Goldes, auf dass man damit Kirchen und Klöster baute, so wäre das ein grosses Ding. Aber doch hätte der viel mehr gegeben, der tausend Pfund für nichts achten könnte: der hätte viel mehr getan als jener. Als Gott alle Kreaturen schuf, da waren sie so erbärmlich und so eng, dass er sich nicht darin bewegen konnte. Jedoch die Seele machte er so sich gleich und so eben das Nämliche, damit er sich der Seele hingeben könnte: denn was er ihr sonst geben könnte, das achtet sie nicht. Gott muss mir sich selbst zu eigen geben, so wie er sich selbst gehört, oder es wird mir nichts und es schmeckt mir nichts. Wer ihn so ganz empfangen will, der muss sich selbst ganz ergeben haben und aus sich selbst herausgegangen sein.
Ich ward einst gefragt, was der Vater im Himmel täte? Da sprach ich: Er gebiert seinen Sohn, und dies Werk ist ihm so reizend und gefällt ihm so gut, dass er nichts anderes mehr tut, und aus ihnen beiden erblüht der heilige Geist. Wenn der Vater seinen Sohn in mir gebiert, so bin ich dieser Sohn und kein anderer; unter Menschen gibt es da einen und dort einen, aber da bin ich derselbe und kein anderer.
Gottes Natur ist, dass er gibt, und sein Wesen hängt daran, dass er uns gibt, wenn wir demütig sind. Sind wir das nicht, so empfangen wir auch nichts und tun ihm Gewalt an und töten ihn. Wenn die Seele der Zeit und des Raumes ledig ist, so sendet der Vater seinen Sohn in die Seele. Es spricht ein Wörtlein: »Die beste Gabe kommt von oben herab, vom Vater der Lichter.« Dass wir bereitet seien, die beste Gabe zu empfangen, dazu verhelfe uns Gott, der Vater der Lichter. Amen.

11. Von unsagbaren Dingen

»Fürchtet nicht, die euch körperlich töten wollen, denn die Seele können sie nicht töten,« denn Geist tötet nicht Geist. Geist gibt dem Geist Leben. Die euch töten wollen, das ist Blut und Fleisch, und das stirbt miteinander. Das Edelste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es guten Willens ist. Aber das Aergste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es bösen Willens ist. Siegt das Blut über das Fleisch, so ist der Mensch demütig, geduldig und keusch und hat alle Tugend in sich. Siegt aber das Fleisch über das Blut, so wird der Mensch hochfahrend, zornig und unkeusch und hat alle Untugend in sich.
Nun passt auf, ich will jetzt sagen, was ich nie gesagt habe. Als Gott den Himmel, die Erde und alle Kreaturen schuf, da wirkte Gott nicht; er hatte nichts zu wirken; in ihm war auch kein Werk. Da sprach Gott: »Wir machen einen Gleichen.« Schöpfen ist ein leichtes Ding, das tut man, wenn und wie man will. Aber was ich mache, das mache ich selbst aus mir selbst und in mir selbst und drücke mein Bild ganz und gar darein.
Als Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein Werk des Gleichen, sein wirkendes und sein immerwährendes Werk. Das Werk war so gross, dass es nichts anderes war als die Seele: die war das Werk Gottes. Gottes Natur, sein Wesen und seine Gottheit hängt daran, dass er in der Seele wirken muss. Gottes Segen, Gottes Segen! Wenn Gott in der Seele wirkt, dann liebt er sein Werk. Das Werk ist die Liebe und die Liebe ist Gott. Gott liebt sich selbst und seine Natur, sein Wesen und seine Gottheit. In der Liebe, worin Gott mich liebt, liebt er alle Kreaturen. Nicht als Kreaturen liebt er sie, sondern die Kreaturen als Gott. Mit der Liebe, worin Gott sich liebt, liebt er alle Dinge.
Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe. Gott empfindet und schmeckt sich selbst. Mit dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Kreaturen, nicht als Kreaturen, sondern die Kreaturen als Gott. In dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Dinge. Nun passt auf. Alle Kreaturen nehmen ihren Lauf zu ihrer höchsten Vollkommenheit. Nun bitte ich euch, vernehmet bei der ewigen Wahrheit und bei meiner Seele. Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe: Gott und Gottheit unterscheiden sich so sehr wie Himmel und Erde. Ich sage mehr: Der innere und der äussere Mensch unterscheiden sich gleichfalls so sehr wie Himmel und Erde. Der Himmel steht viel tausend Meilen darüber. Gott wird und wird zunichte. Nun komme ich wieder auf meine Rede: Gott schmeckt sich selbst in allen Dingen. Die Sonne wirft ihren lichten Schein aus auf alle Kreaturen, und worauf die Sonne ihren Schein wirft, das zieht sie in sich und verliert doch nicht ihre Scheinhaftigkeit. Alle Kreaturen geben ihr Leben um ihres Wesens willen auf. Alle Kreaturen tragen sich in meine Vernunft hinein, damit sie in mir vernünftig sind. Ich allein bringe alle Kreaturen zu Gott zurück.
Wartet, was ihr alle tut. Nun komme ich wieder auf meinen innern und äussern Menschen. Ich betrachte die Lilien auf dem Felde und ihren lichten Schein und ihre Farbe und alle ihre Blätter. Aber ihren Duft sehe ich nicht. Warum? Weil der Duft in mir ist. Aber auch was ich spreche, ist in mir, und ich spreche es aus mir heraus. Alle Kreaturen schmecken meinem äussern Menschen als Kreaturen, als Wein und Brot und Fleisch. Aber meinem innern Mensehen schmeckt nichts als Kreatur, sondern als Gabe Gottes. Und mein Innerster Mensch schmeckt sie nicht als Gabe Gottes, sondern als immer und ewig. Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen Spiegel hinein und setze es unter das Rad der Sonne, so wirft die Sonn ihren lichten Schein aus dem Rad und aus dem Boden der Sonne und vergeht doch nicht. Das Widerspiegeln des Spiegels in der Sonne ist in der Sonne. Ist Sonne und sie ist doch was sie ist. So ist es mit Gott. Gott ist mit seiner Natur, seinem Wesen und seiner Gottheit in der Seele, und er ist doch nicht die Seele. Das Widerspiegeln der Seele ist in Gott. Ist Gott und sie ist doch was sie ist. Gott wird da zu allen Kreaturen -Gottes Sprechen wird da zu Gott.
Als ich in dem Grunde, in dem Boden, in dem Fluss und in der Quelle der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte: da war niemand, der mich fragte. Als ich floss, da sprachen alle Kreaturen Gott Fragte man mich: Bruder Eckhart, wann gingt Ihr aus dem Hause? Da war ich drinnen. So sprechen alle Kreaturen von Gott. Und warum sprechen sie nichts von der Gottheit? Alles, was in der Gottheit ist, ist eins, und davon ist nichts zu sprechen. Gott wirkt, die Gottheit wirkt nicht, sie hat nichts zu wirken, in ihr ist kein Werk. Gott und Gottheit unterscheidet sich wie Wirken und Nichtwirken. Wenn ich wieder in Gott komme, dann bilde ich nicht, so steht meine Mündung viel höher als mein Ursprung. Ich allein bringe alle Kreaturen aus ihrer Vernunft in meine Vernunft, dass sie in mir eins sind. Wenn ich in den Grund, in den Boden, in den Fluss und in die Quelle der Gottheit komme, so fragt mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei. Da vermisste mich niemand, das hört da alles auf.
Wer diese Predigt verstanden hat, dem gönne ich’s gern. Wäre hier kein Mensch gewesen, so hätte ich sie diesem Stocke predigen müssen. Es sind etliche arme Leute, die gehen wieder heim und sagen: ich will mich auf den Stuhl setzen, und mein Brot essen und Gott dienen. Ich sage aber in Wahrheit, diese Leute müssen verirrt bleiben und können nimmer erreichen und erlangen, was die andern erreichen, die Gott in Armut und Entblösstheit nachgehn. Amen.

12. Vom Leiden Gottes

Ein Lehrer spricht: Du reicher Gott, wie wohl wird mir, trägt meine Liebe Früchte dir!
Unser Herr spricht zu einer jeglichen liebenden Seele: »Ich bin euch Mensch gewesen, wenn ihr mir nicht Götter seid, so tut ihr mir unrecht. Mit meiner göttlichen Natur wohnte ich in eurer menschlichen Natur, so dass niemand meine göttliche Gewalt kannte und man mich wandeln sah wie einen andern Menschen. So sollt ihr euch mit eurer menschlichen Natur in meiner göttlichen Natur bergen, dass niemand eure menschliche Schwäche an euch erkenne und dass euer Leben zumal göttlich sei, dass man an euch nichts erkenne als Gott.« Und das geschieht nicht dadurch, dass wir süsse Worte und geistliche Gebärden annehmen und dass wir im Geruch der Heiligkeit stehen oder dass unser Name fern und weit getragen werde und wir von Gottes Freunden geliebt werden oder dass wir von Gott so verwöhnt und verzärtelt sind, dass es uns vorkommt, Gott habe alle Kreaturen vergessen bis auf uns allein, und dass wir wähnen, was wir von Gott begehren, das sei jetzt alles geschehen.
Nein, nicht also! Nicht das heischt Gott von uns; es steht ganz anders.
Er will, dass wir frei und unbewegt gefunden werden, so man uns nachsagt, wir seien falsche und unwahrhafte Leute, und was man sonst von uns sprechen kann, um uns unsern guten Leumund zu nehmen, und nicht allein, dass man schlecht von uns spricht, sondern auch schlecht gegen uns handelt und uns die Hilfe entzieht, die wir für unsern Lebensbedarf nicht entbehren können, und nicht allein am Bedarf göttlicher Dinge, sondern uns auch an unserm Körper schädigt, dass wir krank werden oder sonst in schmerzliche Mühsal des Körpers verfallen, und wenn die Leute, während wir in allen unsern Werken das allerbeste tun, das wir ersinnen können, uns das zum allerbösesten kehren, das sie ersinnen können, und wenn wir das nicht allein von den Menschen erdulden, sondern auch von Gott, so dass er uns den Trost seiner Gegenwart entzieht und gerade so tut, als wäre eine Mauer zwischen uns und ihm aufgerichtet, und wenn er, falls wir mit unsrer Mühsal zu ihm kommen, um Trost und Hülfe zu suchen, sich dann gegen uns benimmt, wie wenn er seine Augen vor uns schlösse, so dass er uns nicht sehen noch hören will und er uns allein stehen lässt im Kampf mit unsern Nöten, wie Christus von seinem Vater verlassen ward: sehet, dann sollten wir uns in seiner göttlichen Natur bergen, dass wir in unserer Trostlosigkeit so unerschüttert stünden, uns mit nichts anderm zu helfen als allein mit dem Worte, das Christus sprach: »Vater, all dein Wille werde an mir vollbracht.«
Gott ist ein so beschaffenes Wesen, dass man es am besten mit Nichts erkennt. Wieso mit Nichts? Dadurch, dass man alles Mittel abtut, aber nicht etwa bloss der Welt entsagen und. Tugend haben, sondern ich muss auch die Tugend lassen, wenn ich Gott unmittelbar sehen will; nicht so, dass ich der Tugend entsage, sondern die Tugend soll in mir wesenhaft wohnen und ich soll über der Tugend wohnen. Wenn so des Menschen Gedanken kein Ding mehr berühren kann, dann erst berührt er Gott. Ein heidnischer Meister sagt, dass die Natur über die Natur nichts vermag. Daher kann Gott von keiner Kreatur erkannt werden. Soll er erkannt werden, so muss das in einem Licht über der Natur geschehen.
Die Meister haben eine Frage, woher das komme, wenn Gott die Seele über sie selbst und über alle Kreaturen erhebe und er sie zu sich selbst heimgeführt habe, warum er denn den Leib nicht auf eine höhere Stufe hebe, so dass er irdischer Dinge nicht bedürfte? Dies beantwortet ein Meister – ich glaube, es ist Sankt Augustin – und sagt folgendes: Wenn die Seele zur Vereinigung mit Gott gelangt, erst dann ist der Leib vollkommen dazu gelangt, dass er alle Dinge zu Gottes Ehre geniessen kann. Denn um des Menschen willen sind alle Kreaturen ausgeflossen, und was der Leib vernünftig von den Kreaturen geniessen kann, das ist für die Seele kein Abfall, sondern eine Erhöhung ihrer Würde, denn die Kreatur könnte keine edlere Mündung finden, um wieder zu ihrem Ursprung zu gelangen, als den rechten Menschen, der einen Augenblick seiner Seele gestattet, dass er in die Vereinigung mit Gott hinaufgezogen wird. Denn zwischen Gott und der Seele ist dann kein Hindernis, und sofern die Seele Gott in die Wüste der Gottheit folgt, sofern folgt der Leib dem lieben Christus in die Wüste der freiwilligen Armut, und wie die Seele mit der Gottheit vereint ist, so ist der Leib mit der Wirkung wahrer Tugend in Christus vereint. So kann der
himmlische Vater wohl sprechen: »Dies ist mein lieber Sohn, in dem ich mir selber wohl gefalle,« denn er hat nicht allein in die Seele geboren seinen eingeborenen Sohn, nein, er hat sie selbst seinem eingeborenen Sohn geboren.
Wohlauf, aus allertiefstem Herzen! Mensch, was kann dir hart oder bitter zu leiden sein, wenn du recht betrachtest, dass der, der da in der Form Gottes und im Tage seiner Ewigkeit im Glänze der Heiligen war, und der zuvor geboren war als ein Strahl und eine Substanz Gottes, dass der in den Kerker und den Leim deiner beschmeckenden Natur kommt, die so unrein ist, dass alle Dinge, so rein sie sich ihr nahen, in ihr stinkend und unrein werden, und dass er doch um deinetwillen gänzlich hineingesteckt werden wollte? Was gibt es, das dir nicht süss sein sollte zu leiden, wenn du die Bitternis deines Herrn und Gottes zusammenliest und wenn du zurückdenkst an all die Bitternis und all die Schmach, die auf ihn fiel? Welche Schmach und Schande er litt von den Fürsten und von den Rittern und von den bösen Knechten und von denen, die den Weg vor dem Kreuze auf und nieder gingen? Wie die Klarheit des ewigen Lichtes verspieen und verspottet und verhöhnt ward? Fürwahr, welch eine grosse schuldlose Barmherzigkeit und wohlbewährte Liebe, die mir an keinem Orte so vollkommen gewährt ward, als an dem Orte, wo die Kraft der Liebe aus seinem Herzen brach! Darum mache dir ein Bündel aus allerhand Bitternis deines Herrn und Gottes und lass es allezeit zwischen deinen Brüsten wohnen, und sieh seine Tugend an und beschaue sie, wie fördersam er dein Heil in allen seinen Werken bedacht hat, und gib wohl acht, dass du ihm mit derselben Münze vergiltst seinen schändlichen, schmachvollen Tod und seine schmerzhafte Natur, mit der er ohne Schuld für deine Schuld gelitten hat, als ob es seine eigene Schuld wäre, wie er selbst in dem Propheten von seinem Schmerze spricht, indem er sagt: »Seht, das leide ich um meiner Verschuldung willen,«und wo er von der Frucht seiner Werke spricht, da sagte er: »Seht, diesen Reichtum sollt ihr besitzen für eure Werke,« und nennt unsre Sünde seine Sünde und sein Werk unsere Werke, denn er hat unsere Sünde gutgemacht, als ob er sie selbst getan hätte, und wir besitzen den Lohn seiner Werke, gerade als ob wir sie gewirkt hätten. Und dies soll unsere Mühsal gering machen, denn der gute Ritter klagt nicht um seine Wunden, wenn er den König ansieht, der mit ihm verwundet ist. Er bietet uns einen Trank, den er zuvor getrunken hat. Er schickt uns nichts, was er nicht vorher getan oder gelitten hätte. Darum sollen wir grosse Liebe zum Leiden haben, denn Gott hat nie etwas anderes getan, solange er auf Erden war. Dass wir so unsre menschliche Natur und all unsre Schwäche in göttliche Natur verwandeln und verlieren, dass an uns nichts gefunden werde als lauter Gott, das walte Gott. Amen.

13. Von der Einheit der Dinge

Als ich heute hierherging, überlegte ich mir, wie ich euch so vernünftig predigen könnte, dass ihr mich wohl verstündet, und ich dachte mir ein Gleichnis aus. Wenn ihr das recht verstehen könntet, so verstündet ihr meinen Sinn und den Grund aller einer Meinungen, den ich immer predigte. Es war aber das Gleichnis von meinen Augen und von dem Holze. Wenn mein Auge aufgetan wird, so ist es mein Auge. Ist es zu, so ist es dasselbe Auge, wegen des Sehens geht dem Holze weder etwas ab noch etwas zu. Nun merket recht auf. Geschieht aber das, dass mein Auge an sich selbst eins und einheitlich ist und aufgetan und auf das Holz geworfen wird mit einem Ansehen, so bleibt ein jegliches, was es ist, und doch werden sie in der Wirksamkeit des Ansehens wie eines, so dass man sagen kann: Auge-Holz, und das Holz ist mein Auge. Wäre aber das Holz ohne Materie und ganz geistig, wie das Gesicht meiner Augen, so könnte man in Wahrheit sagen, dass in der Wirksamkeit meines Gesichts das Holz und mein Auge aus einem Wesen bestehen. Ist dies wahr von körperlichen Dingen, viel mehr wahr ist es von geistigen Dingen. Ihr sollt wissen, mein Auge hat viel mehr Einheit mit den Augen eines Schafes, das jenseits des Meeres ist, und das ich nie gesehen habe, als mit meinen Ohren, mit denen es doch eins ist im Wesen; und das kommt daher, weil das Auge des Schafes dieselbe Wirksamkeit hat wie mein Auge, und daher spreche ich ihnen mehr Einheit im Wirken zu als meinen Augen und Ohren, denn die sind im Wirken verschieden.
Ich habe manchmal von einem Licht gesprochen, das in der Seele ist und das ungeschaffen und unerschafflich ist. Eben dieses Licht pflege ich allewege in meiner Predigt zu berühren, und dieses Licht nimmt Gott unmittelbar und ohne Hüllen wahr, rein wie es an sich selbst ist, und diese Wahrnehmung findet statt in der Wirksamkeit der Hineingebärung. Da kann ich wahrlich sagen, dieses Licht hat mehr Einheit mit Gott als mit sonst einer Kraft, mit der es doch im Wesen eins ist. Denn ihr sollt wissen, dieses Licht ist im Wesen meiner Seele nicht höher im Rang als die niederste oder allergewöhnlichste Kraft, die von Hunger oder Durst, Frost oder Hitze befallen werden kann, und das kommt daher, dass das Wesen einfach ist. Wenn man demnach die Kräfte im Wesen betrachtet, sind sie alle eins und gleich im Rang; aber betrachtet man sie in ihren Werken, dann ist eine viel edler und höher als die andere.
Darum sage ich: wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen abkehrt, so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser Funke entzieht sich allen Kreaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst ist. Er begnügt sich nicht mit Vater oder Sohn oder heiligem Geist, und nicht mit den drei Personen, sofern jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht. Ich sage wahrlich, eben dieses Licht begnügt sich nicht mit der Eigenhaftigkeit der fruchtbaren Beschaffenheit der göttlichen Natur. Ich will noch mehr sagen, was noch wunderbarer lautet: ich sage in guter Wahrheit, dieses Licht begnügt sich nicht mit dem einfachen stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch nimmt, sondern es will wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den einfachen Grund, in die stille Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder Vater noch Sohn noch heiliger Geist, gedrungen ist; in dem Innigsten, wo niemand heimisch ist, da begnügt es sich in einem Lichte, und da ist es einiger als in sich selbst; denn dieser Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst unbeweglich ist, und von dieser Unbeweglichkeit werden bewegt und da empfangen ihr ganzes Leben alle Dinge, die vernünftig leben und sich in sich selbst versenkt haben. Dass wir so vernünftig leben, das walte Gott. Amen.

14. Wie Jesus am Stricke zog

Nemo potest ad me venire, nisi pater meus traxerit eum (Joh. VI, 44). Diese Worte hat unser Herr Jesus Christus mit seinem süssen Mund im Evangelium gesprochen, und sie bedeuten : »Niemand kann zu mir kommen, als den mein Vater ziehet.«
Nun sollen wir wissen, bevor unser Herr Jesus Christus geboren wurde, zog der himmlische Vater aus aller Kraft fünftausendzweihundert Jahre lang, ohne dass er einen einzigen Menschen ins Himmelreich ziehen konnte. Als nun der Sohn sah, ass der Vater sich abgemüht und so kräftig gezogen und doch nichts geschafft hatte, da sprach er zu dem Vater: »Ich will sie mit den Seilen Adams ziehen,« gerade als ob er sagte: Ich sehe wohl, Vater, dass du mit aller deiner Kraft nichts schaffen kannst; darum will ich mit meiner Weisheit sie an den Seilen Adams ziehen. Daher liess der Sohn sich hernieder vom Himmelreich in den Leib unsrer Frau und nahm da alle unsre leiblichen Gebrechen an sich, aber ohne die Sünde und die Unvernunft, in die uns Adam geworfen hatte, und machte ein Seil aus allen seinen Worten und seinen Werken und all seinen Gliedmassen und seinen Adern und zog in all seiner Weisheit so sehr von Herzen, dass am nde blutiger Schweiss aus seinem heiligen Leib herausbrach. Und als er dreiunddreissig Jahre lang gezogen hatte, ohne etwas zu schaffen, da sah er doch schon die Bewegung und Loslösung aller Dinge; die wollten ihm folgen. Daher sprach er: »Würde ich an das Kreuz erhöht, so zöge ich alle Dinge zu mir.« Daher ward er ans Kreuz gespannt und legte allen seinen Glanz und alles, was ihn am Ziehen hätte hindern können, ab.
Nun gibt es drei Dinge, die von Natur ziehen, und die hatte er alle bei sich am Kreuze. Daher zog er an einem Vormittag mehr als vorher in dreiunddreissig Jahren. Das erste Ding, das natürlich an sich zieht, ist Gleichheit, wie wir sehen, dass der Vogel den Vogel anzieht, der ihm von Natur aus gleich ist. Mit dieser Gottheit und Gleichheit zog er den himmlischen Vater zu sich, denn der ist ihm gleich an Gottheit. Um ihn desto mehr an sich zu ziehen, damit er seines Zornes vergesse, spricht er: »Herzlieber Vater, weil du die Sünde trotz all der Opfer, die dir im alten Bunde gebracht wurden, nie vergeben wolltest, so sage ich, mein Vater, deines Herzens eingeborener Sohn, der dir in allen Stücken an Gottheit gleich ist, und in dem du allen Schatz göttlicher Liebe und Reichtums geborgen hast: ich komme an das Kreuz, auf dass ich vor deinen Vateraugen ein lebendiges Opfer werde, dass du die Augen deiner väterlichen Barmherzigkeit senkst und mich ansiehst, deinen eingeborenen Sohn, und schau mein Blut an, das aus meinen Wunden fliesst und lisch das feurige Schwert aus, mit dem du, in der Hand des Engels Cherubim, den Weg zum Paradies verschlossen hast, damit jetzt alle frei hineingehen können, die in mir ihre Sünde bereuen und beichten und büssen.«
Das zweite, was natürlich zieht, ist ein leerer Raum, wie wir sehen, dass das Wasser, wenn man die Luft aus einem Rohr herauszieht, bis an den Mund hinaufläuft, denn wenn die Luft hinausgeht, ist das Rohr leer; die Leere zieht dann das Wasser an sich. Also machte sich unser Herr Jesus Christus leer, als er mit seiner Weisheit alle Dinge an sich ziehen wollte, denn er liess alles Blut ausfliessen, das in seinem Körper war, und dadurch zog er alle Barmherzigkeit und Gnade, die im Herzen seines Vaters war, so vollständig und so reichlich an sich, dass es für die ganze Welt genug war. Darum sprach der Vater: »Meiner Barmherzigkeit will ich nimmer vergessen,« und sprach weiter: »Mein Sohn, nun sei kühn und stark, denn du sollst das Volk allesamt in das Land geleiten, das ich verheissen habe, in das Land himmlischer Freuden, das da überfliesst vom Honig meiner ewigen Gottheit und von der Milch deines Menschtums.«
Drittens ziehen heisse Dinge, wie wir sehen, dass die Sonne den Dampf von der Erde zum Himmel hinaufzieht, daher ward auch unser Herr Jesus Christus am Kreuze heiss und hitzig, denn sein Herz brannte am Kreuze wie eine Feueresse oder ein Ofen, wo die Flamme an allen Enden hinausschlägt; so brannte er am Kreuze im Feuer der Liebe zu aller Welt. Daher zog er auch mit der Hitze seiner Liebe alle Welt an sich, denn sie gefiel ihm so sehr, dass niemand sich vor seiner Hitze bergen konnte, wie Herr David im Psalter sagt. Denn nichts, was unser Herr Jesus Christus je tat, geschah mit so grosser Liebe, wie die Marter, die er am Kreuze erlitt, denn da gab er seine Seele für uns, und wusch unsre Sünde in seinem teuren Blute und brachte sich zum Opfer, um dem lebendigen Gott zu dienen. Daher zog er uns auch mit seiner Liebe am Kreuze allgewaltig an sich, so dass alle die, denen sein Tod und seine Marter zu Herzen geht, mit ihm in Ewigkeit selig werden. Amen.

15. Von der Erkenntnis Gottes

Unser lieber Herr spricht, dass das Reich Gottes nahe bei uns ist. Ja, das Reich Gottes ist in uns, und Sankt Paulus spricht, dass unser Heil näher bei uns ist, als wir glauben. Nun sollt ihr wissen, wie das Reich Gottes uns nahe ist. Hiervon müssen wir den Sinn recht achtsam merken. Denn wäre ich ein König und wüsste es selbst nicht, so wäre ich kein König. Aber hätte ich die feste Ueberzeugung, dass ich ein König wäre, und meinten und glaubten das alle Menschen mit mir, so wäre ich ein König und aller Reichtum des Königs wäre mein. So ist auch unsere Seligkeit daran gelegen, dass man das höchste Gut, das Gott selbst ist, erkennt und weiss. Ich habe eine Kraft in meiner Seele, die Gottes allzumal empfänglich ist. Ich bin dessen so gewiss, wie ich lebe, dass mir kein Ding so nahe ist wie Gott. Gott ist mir näher als ich mir selber bin, mein Wesen hängt daran, dass Gott mir nahe und gegenwärtig ist. Das ist er ebenso einem Stein und einem Holze, aber sie wissen es nicht.
Wüsste das Holz Gott und erkennte es, wie nahe er ihm ist, wie es der höchste Engel erkennt, das Holz wäre so selig wie der höchste Engel. Und darum ist der Mensch seliger als ein Holz, weil er Gott erkennt und weiss, wie nahe ihm Gott ist. Nicht davon ist er, selig, dass Gott in ihm ist und ihm so nahe ist und dass er Gott hat, sondern davon, dass er Gott erkennt, wie nahe er ihm ist, und dass er Gott wissend und liebend ist, und der soll erkennen, dass Gottes Reich nahe ist.
Wenn ich an Gottes Reich denke, dann befällt mich tiefes Schweigen, seiner Grösse wegen; denn Gottes Reich ist Gott selbst mit all seinem Reichtum. Gottes Reich ist kein kleines Ding: wer an alle Welten dächte, die Gott machen könnte, das ist nicht Gottes Reich. Der Seele, in der Gottes Reich erglänzt und die Gottes Reich erkennt, braucht man nicht predigen oder lehren, sie wird vom ihm belehrt und des ewigen Lebens getröstet. Wer weiss und erkennt, wie nahe ihm Gottes Reich ist, der kann mit Jakob sprechen: »Gott ist an diesem Ort und ich wüsste es nicht.«
Gott ist in allen Kreaturen gleich nahe. Der Weise spricht: »Gott hat seine Netze und Stricke auf alle Kreaturen ausgeworfen, so dass man ihn in einer jeden finden und erkennen kann, wenn man es wahrnehmen will.« Ein Meister spricht: Der erkennt Gott recht, der ihn in gleicher Weise in allen Dingen erkennt; und wenn einer Gott in Furcht dient, ist es gut; wenn er ihm aus Liebe dient, ist es besser; aber wer ihn in Fürchten lieben kann, das ist das allerbeste.
Dass ein Mensch ein Leben der Ruhe oder Rast in Gott hat, das ist gut; dass der Mensch ein Leben der Pein mit Geduld trägt, ist besser; aber dass man in dem peinvollen Leben seine Rast habe, das ist das allerbeste. Ein Mensch gehe auf dem Felde [und spreche sein Gebet] und erkenne Gott, oder er sei in der Kirche und erkenne Gott: wenn er Gott darum, weil er an einem Ruheplatz ist, eher erkennt, so kommt das von seiner Schwäche, nicht von Gott, denn Gott ist in allen Dingen und an allen Orten gleich und ist bereit, soweit es an ihm ist, sich überall in gleicher Weise zu geben, und der erkennte Gott richtig, der ihn überall in gleicher Weise erkennte.
Wie der Himmel an allen Orten gleich fern von der Erde ist, so soll auch die Seele gleich fern sein von allen irdischen Dingen, und dem einen nicht näher sein als dem andern, und sie soll sich gleichmütig halten in Liebe, in Leid, im Haben, im Entbehren, in alledem soll sie zumal gestorben, gelassen und darüber erhoben sein. Der Himmel ist rein und klar ohne alle Flecke, den Himmel berührt weder Zeit noch Raum.
Alle körperlichen Dinge haben keinen Raum darin. Er ist auch nicht in der Zeit, sein Umlauf ist unglaublich schnell, sein Lauf ist ohne Zeit, aber von seinem Lauf kommt die Zeit. Nichts hindert die Seele so sehr an der Erkenntnis Gottes als Zeit und Raum. Zeit und Raum sind Stücke und Gott ist eins. Soll darum die Seele Gott erkennen, so muss sie ihn über der Zeit und über dem Raum erkennen; denn Gott ist weder dies noch das, wie diese Dinge der Mannigfaltigkeit; denn Gott ist eins.
Soll die Seele Gott erkennen, so darf sie mit dem Nichts keine Gemeinschaft haben. Wer Gott sieht, der erkennt, dass alle Kreaturen nichts sind. Wenn man eine Kreatur mit der andern vergleicht, so scheint sie schön und ist etwas; aber wenn man sie mit Gott vergleichen will, so ist sie nichts.
Ich sage mehr: soll die Seele Gott erkennen, so muss sie auch ihrer selbst vergessen und muss sich selbst verlieren; denn solange sie sich selbst sieht und erkennt, sieht und erkennt sie Gott nicht. Wenn sie sich Um Gottes willen verliert und alle Dinge verlässt, so findet sie sich in Gott wieder, weil sie Gott erkennt, und dann erkennt sie sich selbst und alle Dinge (von denen sie sich geschieden hat) in Gott in Vollkommenheit. Will ich das höchste Gut und die ewige Güte erkennen, wahrlich, so muss ich sie erkennen, wie sie gut an sich selbst ist, nicht wie die Güte geteilt ist. Will ich das wahre Wesen erkennen, so muss ich es erkennen, – wie das Sein an sich selbst ist, das heisst in Gott, nicht wie es in Kreaturen geteilt ist.
In Gott allein ist das ganze göttliche Wesen. In einem Menschen ist nicht ganzes Menschtum, denn ein Mensch ist nicht alle Menschen. Aber in Gott erkennt die Seele ganzes Menschtum und alle Dinge im Höchsten, denn sie erkennt sie in ihrem Wesen. Ein Mensch, der in einem schön gemalten Hause wohnt, weiss viel mehr davon als ein anderer, der nie hineinkam und viel davon sagen wollte. Daher ist es mir so gewiss als ich lebe und Gott lebt: wenn die Seele Gott erkennen will, muss sie ihn über Zeit und Raum erkennen. Und eine solche Seele erkennt Gott und weiss, wie nahe Gottes Reich ist, das heisst Gott mit all seinem Reichtum. Die Meister haben viel Fragens in der Schule, wie das möglich sei, dass die Seele Gott erkennen könne? Es liegt nicht an Gottes Strenge, dass er viel von den Menschen heischt; es liegt an seiner grossen Milde, dass er will, dass die Seele sich weiter mache, auf dass sie viel empfangen und er ihr viel geben könne.
Niemand soll denken, es sei schwer hierzu zu kommen, wiewohl es schwer klingt und auch wirklich im Anfang schwer ist, im Abscheiden und Sterben aller Dinge. Aber wenn man hineinkommt, so ist kein Leben leichter und fröhlicher und lieblicher; denn Gott gibt sich gar grosse Mühe, allezeit bei dem Menschen zu sein, und lehrt ihn, damit er ihn zu sich bringt, wenn er anders ihm folgen will. Es begehrte nie ein Mensch so sehr nach einer Sache, als Gott begehrt, den Menschen dazu zu bringen, ihn zu erkennen. Gott ist allzeit bereit, aber wir sind sehr unbereit; Gott ist uns nahe, aber wir sind ihm ferne; Gott ist drinnen, aber wir sind draussen; Gott ist zu Hause, wir sind in der Fremde. Der Prophet spricht: »Gott führt die Gerechten durch einen engen Weg in die breite Strasse, dass sie in die Weite und in die Breite kommen, das heisst: in wahre Freiheit des Geistes, der ein Geist mit Gott geworden ist.« Dass wir ihm alle folgen, dass er uns in sich bringe, das walte Gott. Amen.

16. Von der Armut

Die Seligkeit tat ihren Mund der Weisheit auf und sprach: »Selig sind die Armen des Geistes, das Himmelreich ist ihrer.« Alle Engel und alle Heiligen und alles was je geboren ward, muss schweigen, wenn diese ewige Weisheit des Vaters spricht; denn alle Weisheit der Engel und aller Kreaturen ist lauter nichts vor der Weisheit Gottes, die grundlos ist. Diese Weisheit hat gesagt, dass die Armen selig seien. Nun gibt es zweierlei Armut. Die eine ist eine äusserliche Armut und die ist gut und ist sehr an dem Menschen zu loben, der es mit Willen tut unserm Herrn Jesus Christus zulieb, weil er sie selber auf Erden geübt hat.
Von dieser Armut will ich nichts weiter sagen. Aber es gibt noch eine andere Armut, eine inwendige Armut, von der dies Wort unseres Herrn zu verstehn ist, das er sagt: »Selig sind die Armen des Geistes oder an Geist.« Nun bitte ich euch, ihr möchtet so sein, dass ihr diese Rede versteht, denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit, wenn ihr der Wahrheit, von der wir jetzt reden, nicht gewachsen seid, so könnt ihr mich nicht verstehen. Etliche Leute haben mich gefragt, was Armut sei? Darauf wollen wir antworten.
Bischof Albrecht sagt, der sei ein armer Mensch, dem alle Dinge, die Gott je schuf, nicht Genüge tun, und das ist gut gesagt. Aber wir sagen es noch besser und nehmen Armut in einem höheren Sinne. Das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts weiss und nichts hat. Von diesen drei Punkten will ich sprechen.
Zum ersten also heisst der ein armer Mensch, der nichts will. Diesen Sinn verstehn etliche Leute nicht recht; das sind die Leute, die peinlich an Pönitenzien und äusserlichen Bussübungen festhalten (dass die Leute in grossem Ansehen stehen, das erbarme Gott!) und sie erkennen doch so wenig von der göttlichen Wahrheit. Diese Menschen heissen heilig nach dem äussern Ansehen, aber von innen sind sie Esel, denn sie verstehen es nicht, die göttliche Wahrheit zu unterscheiden. Diese Menschen sagen, der sei ein armer Mensch, der nichts will. Das deuten sie so, der Mensch solle so sein, dass er an keinen Dingen seinen Willen mehr erfülle, vielmehr danach trachten solle, dem allerliebsten Willen Gottes zu folgen. Diese Menschen sind nicht übel daran, denn ihre Absicht ist gut; darum sollen wir sie loben; Gott und seine Barmherzigkeit erhalte sie. Aber ich sage mit guter Wahrheit, dass sie keine armen Menschen und nicht armen Menschen gleichzustellen sind. Sie sind in der Leute Augen gross geachtet, die sich auf nichts Besseres verstehen. Doch sage ich, dass sie Esel sind, die von göttlicher Wahrheit nichts verstehn. Mit ihren guten Absichten können sie vielleicht das Himmelreich erlangen, aber von dieser Armut, von der ich jetzt künden will, von der wissen sie nichts.
Wenn mich nun einer fragt, was denn ein armer Mensch sei, der nichts will, so antworte ich und spreche so. Solange der Mensch das hat, was in seinem Willen ist, und solange sein Wille ist, den allerliebsten Willen Gottes zu erfüllen, der Mensch hat nicht die Armut, von der wir sprechen wollen, denn dieser Mensch hat einen Willen, mit dem er dem Willen Gottes genug tun will, und das ist nicht das rechte. Denn will der Mensch wirklich arm sein, so soll er seines geschaffenen Willens so entledigt sein, wie er war als er nicht war. Und ich sage euch bei der ewigen Wahrheit, solange ihr den Willen habt, den Willen Gottes zu erfüllen und irgend nach der Ewigkeit und nach Gott begehret, so lange seid ihr nicht richtig arm; denn das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts erkennt und nichts begehrt.
Als ich in meiner ersten Ursache stand, da hatte ich keinen Gott und gehörte mir selbst; ich wollte nichts, ich begehrte nichts, denn ich war ein blosses Sein und ein Erkenner meiner selbst nach göttlicher Wahrheit; da wollte ich mich selbst und wollte kein anderes Ding; was ich wollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich, und hier stand ich ledig Gottes und aller Dinge. Aber als ich aus meinem freien Willen hinausging und mein geschaffenes Wesen empfing, da bekam ich einen Gott; denn als keine Kreaturen waren, da war Gott nicht Gott; er war was er war. Als die Kreaturen wurden und ihr geschaffenes Wesen anfingen, da war Gott nicht in sich selbst Gott, sondern in den Kreaturen war er Gott. Nun sagen wir, dass Gott danach dass er Gott ist, nicht ein vollendetes Ziel der Kreatur ist und nicht so grosse Fülle, als die geringste Kreatur in Gott hat. Und gäbe es das, dass eine Fliege Vernunft hätte und vernünftig den ewigen Abgrund göttlichen Wesens, aus dem sie gekommen ist, suchen könnte, so sagen wir, dass Gott mit alledem, was Gott ist, die Fliege nicht ausfüllen und ihr nicht genug tun könnte. Deshalb bitten wir darum, dass wir Gottes entledigt werden und die Wahrheit vernehmen und der Ewigkeit teilhaft werden, wo die obersten Engel und die Seelen in gleicher Weise in dem sind, wo ich stand und wollte was ich war, und war was ich wollte. So soll der Mensch arm sein des Willens und so wenig wollen und begehren wie er wollte und begehrte, als er nicht war. Und in dieser Weise ist der Mensch arm, der nichts will.
Zum zweiten ist der ein armer Mensch, der nichts weiss. Wir haben manchmal gesagt, der Mensch sollte so leben als ob er nicht lebte, weder sich selbst noch der Wahrheit noch Gott. Aber jetzt sagen wir es anders und wollen ferner sagen, dass der Mensch, der diese Armut haben soll, alles haben soll, was er war als er nicht lebte, in keiner Weise lebte, weder sich, noch der Wahrheit, noch Gott, er soll vielmehr alles Wissens so quitt und ledig sein, dass selbst nicht Erkennen Gottes in ihm lebendig ist; denn als der Mensch in der ewigen Art Gottes stand, da lebte in ihm nichts anderes: was da lebte, das war er selbst. Daher sagen wir, dass der Mensch so seines eigenen Wissens entledigt sein soll, wie er war als er nicht war, und Gott wirken lasse, was er wolle, und frei dastehe, als wie er von Gott kam.
Nun ist die Frage, wovon allermeist die Seelheit abhänge? Etliche Meister haben gesagt, es komme auf das Begehren an. Andere sagen, es komme auf Erkenntnis und auf Begehren an. Aber wir sagen, sie hänge nicht von der Erkenntnis noch von dem Begehren ab, sondern es ist ein Etwas in der Seele, aus dem fliesst Erkenntnis und Begehren, das erkennt selbst nicht und begehrt nicht so wie die Kräfte der Seele.
Wer dies erkennt, der erkennt, wovon die Seelheit abhänge. Dies Etwas hat weder vor noch nach und es wartet nicht auf etwas Hinzukommendes, denn es kann weder gewinnen noch verlieren. Darum ist ihm jegliche Möglichkeit ganz und gar benommen, in sich zu wirken, es ist vielmehr immer dasselbe Selbe, das sich selbst in der Weise Gottes verzehrt. So, meine ich, soll der Mensch quitt und ledig dastehen, dass er nicht weiss noch erkennt, was Gott in ihm wirkt, und dann kann der Mensch Armut sein eigen nennen. Die Meister sagen, Gott sei Wesen und zwar ein vernünftiges Wesen und erkenne alle Dinge. Aber ich sage: Gott ist weder Wesen, noch Vernunft, noch erkennt er etwas, nicht dies und nicht das. Darum ist Gott aller Dinge entledigt, und darum ist er alle Dinge. Wer nun des Geistes arm sein will, der muss alles seinen eigenen Wissens arm sein, als einer, der nichts weiss und kein Ding, weder Gott, noch Kreatur, noch sich selbst. Dagegen ist es nicht so, dass der Mensch begehren solle, den Weg Gottes zu wissen oder zu erkennen. In der Weise, wie ich gesagt habe, kann der Mensch arm sein seines eigenen Wissens.
Zum dritten ist der ein armer Mensch, der nichts hat. Viele Menschen haben gesagt, das sei Vollkommenheit, dass man nichts von den leiblichen Dingen
dieser Erde hat, und das ist in einem gewissen Sinne schon wahr, wenn einer es mit Willen tut. Aber dies ist nicht der Sinn, den ich meine, Ich habe vorhin gesagt, der sei ein armer Mensch, der nicht den Willen Gottes erfüllen will, sondern so leben will, dass er seines eigenen Willens und des Willens Gottes so entledigt sei, wie er war als er nicht war. Von dieser Armut sagen wir, dass sie die ursprünglichste Armut sei. Zweitens sagen wir, das sei ein armer Mensch, der die Werke Gottes in sich selber nicht kennt. Wer so des Wissens und Erkennens ledig steht, wie Gott aller Dinge ledig steht, das ist die offenbarste Armut. Aber die dritte Armut, von der ich sprechen will, das ist die tiefste, nämlich dass der Mensch nichts hat.
Nun gebt ernstlich acht; ich habe oft gesagt, und es sagen es auch grosse Meister, der Mensch solle aller Dinge und aller Werke, sowohl innerlich wie äusserlich, so entledigt sein, dass er eine Eigenstätte Gottes sein könne, worin Gott wirken könne. Jetzt aber künden wir es anders. Steht die Sache so, dass der Mensch aller Dinge ledig steht, aller Kreaturen und seiner selbst und Gottes, und ist es noch so in ihm bestellt, dass Gott eine Stätte in ihm zu wirken findet, so sagen wir: solange das in dem Menschen ist, ist der Mensch nicht arm in der tiefsten Armut, denn Gott ist nicht der Meinung mit seinen Werken, der Mensch solle eine Stätte in sich haben, worin Gott wirken könne, sondern das ist eine Armut des Geistes, dass der Mensch Gottes und aller seiner Werke so ledig steht, dass Gott, wenn er in der Seele wirken will, selbst die Stätte sei, worin er wirken will, und das tut er gerne. Denn findet Gott den Menschen so arm, so ist Gott sein eigenes Werk empfangend und ist eine Eigenstätte seiner Werke damit, dass Gott ein Wirken in sich selbst ist. Allhier erlangt der Mensch in dieser Armut das ewige Wesen, das er gewesen ist und das er jetzt ist und das er in Ewigkeit leben soll.
Daher sagen wir, dass der Mensch arm dastehen soll, dass er kein Raum sein und keinen haben soll, worin Gott wirken könne. Wenn der Mensch einen Raum behält, dann behält er Unterschiedenheit. Darum bitte ich Gott, dass er mich Gottes quitt mache, denn unwesenhaftes Wesen und Sein ohne Dasein ist über Gott und über Unterschiedenheit; da war ich selbst, da wollte ich mich selbst und erkannte mich selbst diesen Menschen machend, und darum bin ich Ursache meiner selbst nach meinem Wesen, das ewig ist, und nach meinem Wesen, das zeitlich ist. Und darum bin ich geboren und kann nach der Weise meiner Geburt, die ewig ist, niemals ersterben. Nach der Weise meiner ewigen Geburt bin ich ewiglich gewesen und bin jetzt und soll ewiglich bleiben. Was ich nach der Zeit bin, das soll sterben und soll zunichte werden, denn es ist des Tages; darum muss es mit der Zeit verderben. In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge, und wollte ich, so wäre ich nicht noch alle Dinge, und wäre ich nicht, so wäre Gott nicht. Es ist nicht nötig, dies zu verstehen.
Ein grosser Meister sagt, sein Münden stünde höher als sein Entspringen. Als ich aus Gott entsprang, da sprachen alle Dinge: Gott ist da. Nun kann mich das nicht selig machen, denn hier erkenne ich als Kreatur; dagegen in dem Münden, wo ich ledig stehen will im Willen Gottes, und ledig stehn des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selbst, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder Gott noch Kreatur, sondern ich bin was ich war und was ich bleiben soll jetzt und immerdar. Da erhalte ich einen Ruck, der mich über alle Engel schwingen soll. Von diesem Ruck empfange ich so reiche Fülle, dass mir Gott nicht genug sein kann mit alledem, was er Gott ist, mit all seinen göttlichen Werken, denn mir wird in diesem Münden zu teil, dass ich und Gott eins sind. Da bin ich was ich war, und da nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin da eine unbewegliche Ur-Sache, die alle Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine Stätte im Menschen, denn der Mensch erlangt mit seiner Armut, dass er ewiglich gewesen ist und immer bleiben soll. Allhier ist Gott im Geist eins, und das ist die tiefste Armut, die man finden kann.
Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gewachsen ist, so lange wird er diese Rede nicht verstehen, denn es ist eine Wahrheit, die nicht ausgedacht ist, sondern unmittelbar gekommen aus dem Herzen Gottes. Dass wir so leben mögen, dass wir es ewig empfinden, das walte Gott. Amen.

17. Von Gott und der Welt

Das Allerbeste, das Gott dem Menschen je tat, das war, dass er Mensch ward. Davon will ich eine Geschichte erzählen, die wohl hierher gehört. Es war ein reicher Mann und eine reiche Frau, da stiess der Frau das Unglück zu, dass sie ein Auge verlor, dessen ward sie sehr betrübt. Da kam der Herr zu ihr und sprach: »Frau, warum seid ihr so betrübt? Ihr sollt darüber nicht betrübt sein, dass ihr euer Auge verloren habt.« Da sprach sie: »Herr, ich bin nicht darum betrübt, weil ich mein Auge verloren habe; ich bin darum betrübt, weil es mich dünkt, ihr müsstet mich nun weniger lieb haben.« Da sprach er: »Frau, ich habe euch lieb.« Danach nicht lange nachher stach er sich selbst ein Auge aus und kam zu der Frau und sprach: »Frau, damit ihr nun glaubt, dass ich euch lieb habe, habe ich mich euch gleich gemacht: ich habe nun auch nur noch ein Auge.«
Die Meister sagen: alle Kreaturen wirken daraufhin, dass sie gebären und sich dem Vater gleich machen wollen. Ein anderer Meister sagt: Jede wirkende Ursache wirkt allein um ihres Zweckes willen, dass sie Rast und Ruhe in ihrem Zwecke finde. Dies ist der Mensch, der konnte gar schwerlich glauben, dass ihn Gott so lieb hat, bis Gott endlich sich selbst ein Auge ausstach und menschliche Natur annahm. Dies ist Fleisch geworden.
In principio. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Ein Meister sagt: Alle Kreaturen wirken nach ihrer ersten Lauterkeit und ihrer allergrössten Vollkommenheit. Also hat Gott getan. Er hat die Seele nach der allerhöchsten Vollkommenheit geschaffen und hat in sie gegossen alle seine Klarheit in der reinen Erstheit und ist doch unvermischt geblieben.
Nun merke! Ich sprach neulich an einem Ort: Als Gott alle Kreaturen schuf, sollte er da nicht vorher etwas geschaffen haben, das ungeschaffen war, das Bilder aller Kreaturen in sich trug? Das ist der Funke,der ist Gott so nahe, dass er ein einiges ungeschiedenes Eins ist und das Bild aller Kreaturen ohne Bild und über Bild in sich trägt Eine Frage ward gestern unter grossen Gelehrten erörtert. Mich wundert, sprach ich, dass niemand das allergeringste Wort ergründen kann, und fragt ihr mich, ob ich, wenn ich ein einziger Sohn bin, den der himmlische Vater ewiglich geboren hat, dann ewiglich Sohn gewesen sei, so antworte ich: ja, und nein. Ja, ein Sohn: indem der Vater mich ewiglich geboren hat; und nicht Sohn: entsprechend der Ungeborenheit. In principio. Hier ist uns zu verstehn gegeben, dass wir einziger Sohn sind, den der Vater ewiglich aus dem verborgenen Verstand der ewigen Verborgenheit geboren hat, indem er im ersten Beginne der reinen Erstheit blieb, die da eine Fülle aller Reinheit ist. Hier habe ich ewiglich geruht und geschlafen in der verborgenen Erkenntnis des ewigen Vaters, innen bleibend, ungesprochen. Aus der Lauterkeit hat er mich ewiglich geboren als seinen eingeborenen Sohn selber in das Bild seiner ewigen Vaterschaft, damit ich Vater sei und den gebäre, von dem ich geboren bin. In gleicher Weise, als ob einer vor einem hohen Berge stünde und riefe: »Bist Du da?« und der Schall und der Hall riefe wieder: »Bist Du da?« Oder er spräche: »Komm heraus« und der Schall antwortete: »Komm heraus!« Ja, wer in dem Lichte das Holz sähe, da entstünde ein Engel und ein Vernünftiger und nicht allein vernünftig, es würde lauter Vernunft, in der reinen Erstheit, die da eine Erfüllung aller Reinheit ist. So tut Gott: er gebiert seinen eingeborenen Sohn in das höchste Teil der Seele. Und während er seinen Sohn in mich gebiert, gebäre ich ihn wieder in den Vater. Das war nicht anders, als dass Gott den Engel gebar, während er, der Gott, von der Jungfrau geboren wurde.
Ich dachte (es ist schon manches Jahr her), wenn ich gefragt würde, wieso jede Grasspinne der andern so ungleich wäre, dann antwortete ich: dass alle Grasspinnen so gleich sind, das ist noch wunderbarer. Ein Meister sprach; dass alle Grasspinnen so ungleich sind, das kommt von der Verschwendung der göttlichen Güte, die er verschwenderisch in alle Kreaturen giesst, damit seine Herrlichkeit desto mehr offenbart werde. Da sprach ich: es ist wunderbarer, dass alle Grasspinnen so gleich sind, und sprach: wie alle Engel in der reinen Erstheit alleins sind, so sind alle Grasspinnen in der reinen Erstheit alleins, und alle Dinge sind alleins.

Ich dachte manchmal, wenn ich mich im Freien erging, der Mensch könne mit der Zeit dazu kommen, dass er Gott zwingen kann. Wäre ich hier oben und spräche zu ihm: »Komm herauf!« das wäre schwer. Aber spräche ich: »Setz dich hier nieder!« das wäre leicht. So tut Gott. Wenn der Mensch sich demütigt, so kann Gott in seiner Güte sich nicht enthalten, er muss sich neigen und in den demütigen Menschen ergiessen, und dem Allergeringsten gibt er sich mit seinem Allermeisten und gibt sich ganz und gar. Was Gott gibt, das ist sein Wesen, und sein Wesen ist seine Güte, und seine Güte ist seine Liebe. Alles Leid und alle Freude kommt von der Liebe.
Ich überlegte unterwegs, als ich hierher gehn wollte, ich sollte zu Hause bleiben, ich würde doch nass vor Liebe. Wenn auch ihr nass geworden seid, so wollen wir es sein lassen. – Freude und Leid kommt von der Liebe. Der Mensch soll Gott lieben, denn Gott liebt den Menschen mit all seiner höchsten Vollkommenheit. Die Meister sagen, alle Dinge wirken daraufhin, dass sie sich dem Vater gleich gebären wollen, und sagen: die Erde flieht den Himmel; flieht sie niederwärts, so kommt sie niederwärts zum Himmel; flieht sie aufwärts, so kommt sie zu dem Niedersten des Himmels. Die Erde kann dem Himmel nicht entfliehen: sie fliehe auf oder nieder, der Himmel fliesst in sie und drückt seine Kraft in sie und macht sie fruchtbar, es sei ihr lieb oder leid. So tut Gott dem Menschen: der ihm entfliehen möchte, der läuft ihm in den Schoss, denn ihm sind alle Winkel offen. Gott gebiert seinen Sohn in dir, es sei dir lieb oder leid, du schlafest oder wachest, Gott tut das Seine. Dass der Mensch das nicht empfindet, das liegt daran, dass seine Zunge mit dem Unflat der Kreatur beschmutzt ist und das Salz der göttlichen Liebe nicht hat. Hätten wir die göttliche Liebe, so schmeckten wir Gott und alle die Werke, die Gott je wirkte, und wir empfingen alle Dinge von Gott und wirkten dieselben Werke alle, die er wirkt. In dieser Gleichheit sind wir alle ein einziger Sohn.
Gott schuf die Seele nach seiner höchsten Vollkommenheit, dass sie eine Geburt seines eingeborenen Sohnes sein sollte. Da er dies wohl erkannte, so wollte er herausgehen aus der heimlichen Schatzkammer seiner ewigen Vaterschaft, in der er im ersten Beginne der reinen Erstheit geblieben war und ewig geschlafen und herausgesprochen hat. Da hat der Sohn das Zelt seiner ewigen Glorie aufgeschlagen und ist herausgekommen aus dem Allerhöchsten, weil er seine Freundin holen wollte, die ihm der Vater ewiglich vermählt hatte, dass er sie heimbrächte in das Allerhöchste, aus dem sie gekommen ist Darum ging er hinaus und sprang herzu wie ein Jüngling und litt Leid aus Liebe. Aber nicht für immer ging er hinaus, er wollte wieder hineingehen in seine Kammer, das heisst, in die stille Dunkelheit der verborgenen Vaterschaft. Als er ausging aus dem Allerhöchsten, da wollte er hineingehen mit seiner Braut und wollte ihr die verborgene Heimlichkeit seiner Gottheit offenbaren, wo er mit sich selbst und mit allen Kreaturen ruht.
In principio heisst so viel wie ein Anfang allen Wesens. Es gibt auch ein Ende alles Wesens, denn der erste Beginn ist um des letzten Endes willen. Ja, Gott selbst ruht nicht da, wo er der erste Beginn ist, sondern er ruht da, wo er ein Zweck und ein Ende ist und ein Rasten alles Wesens, nicht dass dies Wesen da zunichte würde, sondern es wird da vollendet zu seiner höchsten Vollkommenheit. Was ist das letzte Ende? Es ist die Verborgenheit der Dunkelheit der ewigen Gottheit und ist unbekannt und ward nie erkannt und wird niemals erkannt. Gott bleibt darin sich selbst unbekannt, und das Licht des ewigen Vaters hat ewiglich darin geschienen, und die Dunkelheit begreift das Licht nicht. Dass wir zu dieser Wahrheit kommen, dazu verhelfe uns die Wahrheit, von der wir gesprochen haben. Amen.

18. Von der Erneuerung des Geistes

»Ihr sollt erneuert werden an eurem Geiste, der da mens heisset,« das heisst ein Bewusstsein. So spricht Sankt Paulus. Nun sagt Augustin, dass an dem ersten Teil der Seele, das da mens heisst oder Bewusstsein, mit dem Wesen der Seele eine Kraft geschaffen hat, die die Meister einen Verschluss oder Schrein geistlicher Formen oder formloser Bilder heissen. Diese Kraft macht den Vater der Seele gleich durch seine ausfliessende Gottheit, von der er den ganzen Hort seines göttlichen Wesens in den Sohn und in den heiligen Geist mit persönlicher Unterscheidung gegossen hat, wie die Gedächtniskraft der Seele den Kräften der Seele den Schatz der Bilder ausgiesst. Wenn nun die Seele mit dieser Kraft irgendwelche Bildlichkeit schaut, sei es das Bild eines Engels oder ihr eigenes Bild, so ist es gar mangelhaft. Schaut sie Gott wie Gott ist oder wie er Bild ist oder wie er drei ist, es ist mangelhaft. Wenn aber alle Bilder der Seele abgeschieden werden und sie allein das einig Eine schaut, so findet das nackte Wesen der Seele das nackte formlose Wesen göttlicher Einheit, das da ist ein überwesendes Wesen, empfangend, in sich selbst liegend. O Wunder über Wunder, welch edles Empfangen ist das, dass das Wesen der Seele nichts anderes empfangen kann als allein die Einheit Gottes! Nun spricht Sankt Paulus: »Ihr sollt erneuert werden am Geiste.« Erneuerung befällt alle Kreaturen unter Gott; aber Gott befällt keine Erneuerung, er ist ganz Ewigkeit. Was ist Ewigkeit? Passt auf. Die Eigenheit der Ewigkeit ist, dass Dasein und Jungsein in ihr eins ist, denn die Ewigkeit wäre nicht ewig, wenn sie neu werden könnte und nicht allewege wäre. Nun sage ich: die Seele befällt Erneuerung, insofern sie Seele heisst, denn sie heisst darum Seele, weil sie dem Körper Leben gibt und eine Form des Körpers ist Sie wird auch von der Erneuerung betroffen, insofern sie Geist heisst Darum heisst sie ein Geist, weil sie von hier und von jetzt und von aller Natürlichkeit abgeschieden ist. Aber insofern sie ein Bild Gottes ist und namenlos wie Gott, da tritt keine Erneuerung an sie heran, sondern allein Ewigkeit, wie in Gott. Nun passt auf! Gott ist namenlos, denn von ihm kann niemand etwas sprechen oder verstehen. Darum sagt ein heidnischer Meister: Was wir von der ersten Ursache verstehen oder sprechen, das sind wir mehr selbst, als dass es die erste Ursache wäre, denn sie ist über allem Sprechen und Verstehen. Sage ich nun: Gott ist gut, so ist es nicht wahr, sondern ich bin gut, Gott ist nicht gut. Ich sage mehr: ich bin besser als Gott, denn was gut ist, kann besser werden; was besser werden kann, kann das Allerbeste werden. Nun ist Gott nicht gut, daher kann er nicht besser werden. Und wenn er also nicht besser werden kann, so kann er auch nicht allerbest werden, denn diese drei sind fern von Gott: gut, besser und allerbest, denn er ist über allem. Sage ich ferner: Gott ist weise, so ist es nicht wahr: ich bin weiser als er. Sage ich ferner: Gott ist ein Wesen, so ist es nicht wahr: er ist ein überschwebendes Wesen und eine überwesende Nichtheit. Daher sagt Sankt Augustin: Das Schönste, was der Mensch von Gott sprechen kann, das ist, dass er vor Weisheitsfülle schweigen kann. Daher schweig und schwatze nicht von Gott, denn damit, dass du von ihm schwatzest, lügst du, tust also Sünde. Willst du nun ohne Sünde sein und vollkommen, so schwatze nicht von Gott. Du sollst auch nichts verstehen unter Gott, denn Gott ist über allem Verstehen. Es sagt ein Meister: Hätte ich einen Gott, den ich verstehen könnte, ich wollte ihn nimmer für Gott halten. Verstehst du nun etwas unter ihm, davon ist er nichts, und damit, dass du etwas unter ihm verstehst, kommst du in eine Unverstandsamkeit, und von der Unverstandsamkeit kommst du in eine Tierheit; denn was an den Kreaturen unverständig ist, das ist tierisch. Willst Du nicht tierisch werden, so verstehe nichts von dem ungeworteten Gotte. »Ach, wie soll ich denn tun?« Du sollst ganz und gar entsinken deiner Deinheit und sollst zerfliessen in seine Seinheit und es soll dein Dein in seinem Mein ein Mein werden, so gänzlich, dass du mit ihm ewiglich verstehst seine ungewordene Istigkeit und seine ungenannte Nichtheit.
Nun spricht Sankt Paulus: »Ihr sollt erneuert werden am Geiste.« Wollen wir nun am Geiste erneuert werden, so müssen die sechs Kräfte der Seele, sowohl die obersten wie die untersten, jede einen goldenen Ring am Finger haben, vergoldet mit dem Golde göttlicher Liebe. Nun achtet auf die niedersten Kräfte, es sind ihrer drei. Die erste heisst Einsicht, rationale; an der sollst du einen goldenen Ring haben, das ist das Licht, auf dass deine Einsicht zu allen Zeiten ohne Zeit mit dem göttlichen Lichte erleuchtet sei. Die andere Kraft heisst die Zürnerin, irascibilis; an der sollst du einen Ring haben, das ist dein Friede. Warum? Darum: wenn in Frieden, dann in Gott; wenn aus Frieden, dann aus Gott. Die dritte Kraft heisst Begehrung: concuspiscibilis; an der sollst du Genügsamkeit haben, damit du dich mit allen Kreaturen, die unter Gott sind, begnügst; aber mit Gott sollst du dich niemals begnügen, denn von Gott kannst du nie genug haben: je mehr Gottes du hast, je mehr begehrst du seiner; denn könntest du dich mit Gott begnügen, so dass Gott vom Genug betroffen würde, so wäre Gott nicht Gott.
Du musst auch an jeder von den obersten Kräften einen goldenen Ring haben. Der obersten Kräfte gibt es auch drei. Die erste heisst eine behaltende Kraft, memoria. Diese Kraft vergleicht man dem Vater in der Dreifaltigkeit. An der sollst du einen goldenen Ring haben, nämlich ein Behalten, damit du alle ewigen Dinge in dir behalten sollst. Die andere heisst Verstand, intellectus. Diese Kraft vergleicht man dem Sohne. An der sollst du auch einen goldenen Ring haben, nämlich Erkenntnis, damit du Gott zu allen Zeiten erkennen sollst. Und zwar wie? Du sollst ihn erkennen ohne Bild, ohne Mittel und ohne Gleichnis. Soll ich aber Gott so unmittelbar erkennen, so muss vollends ich er werden und er ich werden. Ich sage mehr: Gott muss vollends ich werden, und ich vollends Gott, wie völlig eins, dass dies Er und dies Ich ein Ich werden und sind, und in der Istigkeit ewig ein Werk wirken; denn solange dies Er und dies Ich, das heisst Gott und die Seele, nicht ein einziges Hier oder ein einziges Jetzt sind, solange könnte dies Ich mit dem Er niemals zusammenwirken oder eins werden. Die dritte Kraft heisst Wille, voluntas. Diese Kraft vergleicht man dem heiligen Geiste. An der sollst du einen goldenen Ring haben, nämlich die Liebe, damit du Gott lieben sollst. Du sollst Gott lieben ohne Liebheit, dass heisst nicht darum, weil er liebevoll sei, denn Gott ist unliebevoll; er ist über aller Liebe und Liebheit. »Wie soll ich denn Gott lieben?« Du sollst Gott nichtgeistlich lieben, das heisst, deine Seele soll nichtgeistig sein und aller Geistigkeit entkleidet; denn solange die Seele geistförmig ist, hat sie Bilder; solange sie Bilder hat, hat sie nicht Einheit noch Eintracht; solange sie nicht Eintracht hat, liebte sie Gott nicht recht, denn bei rechter Liebe kommt es auf die Eintracht an. Darum soll deine Seele nichtgeistig sein, frei von allem, was Geist ist, und soll geistlos dastehn; denn liebst du Gott, wie er Gott ist, wie er Geist ist, wie er Person ist und wie er Bild ist, das muss alles hinab. »Wie soll ich ihn denn lieben?« Du sollst ihn lieben wie er ist: ein Nichtgott, ein Nichtgeist, eine Nichtperson, ein Nichtbild, sondern: wie er ein blosses, pures, reines Eins ist, gesondert von aller Zweiheit, und in dem Einen sollen wir ewiglich versinken von Nichts zu Nichts. Das walte Gott. Amen.

19. Von der Natur

Es sagen unsere Meister, alles was erkannt wird der geboren wird, ist ein Bild, und sie sagen folgendes: Wenn der Vater seinen eingeborenen Sohn gebären soll, so muss er sein in ihm selbst bleibendes Bild gebären, das Bild in dem Grunde, so wie es von Ewigkeit in ihm gewesen ist, formae illius, das heisst seine ihm selbst bleibende Form. Dies ist eine Naturlehre, und es dünkt mich recht unbillig, dass man Gott mit Gleichnissen, mit diesem oder jenem, aufzeigen muss. Dennoch ist er weder dies noch jenes, und damit begnügt sich der Vater nicht, sondern er zieht sich zurück in die Erstheit, in das Innerste, in den Grund und in den Kern der Vaterschaft, wo er ewig drinnen gewesen ist, in sich selbst in der Vaterschaft und wo er sich selbst verzehrt als Vater seiner selbst in dem einig Einen. Hier sind alle Grasblättlein und Holz und Stein und alle Dinge eins. Dies ist das Allerbeste und ich habe mich ganz darein vernarrt. Darum fügt die Natur alles was sie leisten kann da hinein, das stürzt alles in die Vaterschaft, auf dass sie eins und ein Sohn sei und all dem andern entwachsen
und allein in der Vaterschaft sei, und dass sie, wenn sie nicht darein sein könne, doch wenigstens ein Gleichnis des Einen sei. Die Natur, die von Gott ist, sucht nichts, was ausserhalb von ihr ist, ja, die Natur, wie sie in sich ist, hat nichts mit der Farbe zu tun, denn die Natur, die von Gott ist, die sucht nichts anderes als Gottes Gleiches.
Ich überlegte mir heute Nacht, dass nur Gleiches aufeinander wirken kann. Ich kann kein Ding sehen, das mir nicht gleich ist, und ich kann kein Ding erkennen, das mir nicht gleich ist. Gott trägt alle Dinge verborgen in sich selbst, aber nicht in dies der das unterschieden, sondern eins in Einheit Das Auge hat auch Farbe in sich, das Auge empfängt die Farbe, und das Ohr nicht. Das Ohr empfängt das Getön und die Zunge den Geschmack. Es hat jedes das, mit dem es eins ist. Demnach hat das Bild der Seele und Gottes Bild ein Wesen: da wir Gottes Kinder sind. Und selbst wenn ich weder Augen noch Ohren hätte, so hätte ich doch noch das Wesen. Ich habe öfters gesagt: die Schale muss zerbrechen, und was darinnen ist, muss herauskommen: denn willst du den Kern haben, so musst du die Schale zerbrechen. Und wenn du daher die Natur nackt finden willst, so müssen die Gleichnisse alle zerbrechen, und je weiter man hineintritt, um so näher ist man dem Wesen.
Vor ein paar Jahren war ich nichts; nicht lange nachher ass mein Vater und meine Mutter Fleisch und Brot und Kraut, das im Garten wuchs, und davon bin ich ein Mensch. Das konnte mein Vater oder meine Mutter nicht bewirken, sondern Gott machte meinen Körper unmittelbar und schuf meine Seele nach dem Allerhöchsten. Demnach besass ich mein Leben selbst (possedi me). Dies Korn zielt auf den Roggen ab, dem wieder liegt es in der Natur, dass er Weizen werden kann, darum ruht er nicht, bis er eben diese Natur erreicht. Dies Weizenkorn hat es in der Natur, dass es alle Dinge werden kann, darum geht es in sich und begibt sich in den Tod, auf dass es alle Dinge werde. Und dies Erz ist Kupfer, das hat in seiner Natur, dass es Gold werden kann, darum ruht es nicht, bis es eben diese Natur erreicht. Ja dies Holz hat in seiner Natur, dass es ein Stein werden kann; ich sage noch mehr, es kann wohl alle Dinge werden, es löst sich in ein Feuer und lässt sich verbrennen, damit es in die Feuernatur verwandelt werde, und es wird eins dem Einen und hat ewig dieselbe Natur. Ja, Holz und Stein und Bein und alle Grashalme haben allesamt ein Wesen in der Erstheit. Und tut diese Natur das, was tut dann erst die Natur, die da so nackt in sich selbst ist, die da weder dies noch das sucht, sondern sie entwächst
allem Anderssein und läuft alleins zur reinen Erstheit.

20. Von Gott und Mensch

Praedica verbum. Man liest ein Wörtlein von meinem Herrn Sankt Dominicus, und Sankt Paulus schreibt es, und es heisst zu deutsch also: »Sprich es heraus, sprich es hervor, bring es hervor, und gebier das Wort.« Es ist eine wunderliche Sache, dass ein Ding ausfliesst und doch innen bleibt. Dass das Wort ausfliesst und doch innen bleibt, das ist gar wunderbar; dass alle Kreaturen ausfliessen und doch innen bleiben, das ist gar wunderbar; dass Gott gegeben hat und dass Gott gelobt hat zu geben, das ist gar wunderbar und ist unbegreiflich und unglaublich. Und das ist recht, und wäre es begreiflich und glaublich, so wäre es nicht recht. Gott ist in allen Dingen. Je mehr er in den Dingen ist, je mehr ist er aus den Dingen; je mehr er innen, je mehr er aussen ist. Ich habe es schon öfters gesagt, dass Gott all diese Welt jetzt ganz und gar erschafft. Alles was Gott je vor sechstausend Jahren und mehr schuf, als Gott die Welt machte, das schafft Gott jetzt zumal. Gott ist in allen Dingen, aber insofern Gott göttlich ist und insofern Gott vernünftig ist, ist Gott nirgends so eigentlich wie in der Seele [und in dem Engel, wenn du willst], in dem Innersten der Seele und in dem Höchsten der Seele. Wo die Zeit nie hinkam, wo nie ein Bild hineinleuchtete, im
Innersten und im Höchsten der Seele erschafft Gott die ganze Welt. Alles was vergangen ist und alles was künftig ist, das schafft Gott im Innersten der Seele.
Der Prophet spricht: »Gott sprach eines und ich hörte zwei.« Das ist wahr: Gott sprach nie mehr als eines. Sein Spruch ist nur einer. In diesem Spruch spricht er seinen Sohn und den heiligen Geist und alle Kreaturen, und es ist nichts als ein Spruch in Gott.
Aber der Prophet spricht: »ich hörte zwei.« Das heisst: ich nahm Gott und Kreaturen wahr. Wo es Gott spricht, da ist es Gott; aber hier ist es Kreatur. Die Leute glauben, Gott sei da und da Mensch geworden. Dem ist nicht so, denn Gott ist hier ebensogut Mensch geworden wie dort, und um und um ist er Mesch geworden, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre, nicht weniger und nicht mehr. Ich sprach gestern ein Wörtlein, das steht im Paternoster und heisst: »Dein Wille werde.« Es wäre sogar besser ausgedrückt, dass sein Wille werde, als dass ich sage:mein Wille werde zu seinem. Dass ich es werde, das meint das Paternoster. Das Wort hat zweierlei Sinn.
Erstens: Sei für alle Dinge ein Schlafender, das heisst, du sollst weder um Zeit noch um Kreaturen noch um Bilder wissen. Die Meister sagen: Wenn ein Mensch recht schliefe, und schliefe er hundert Jahr, er wüsste um keine Kreatur, er wüsste nichts von Zeit noch von Bild; und dennoch kannst du wahrnehmen, dass Gott in dir wirkt. Darum spricht die Seele im Buch der Liebe: »Ich schlafe und mein Herr wacht.« Darum kannst du, wenn alle Kreaturen in dir schlafen, wahrnehmen, was Gott in dir wirkt.
Er spricht zweitens ein Wort: Arbeite in allen Dingen; das hat dreierlei Sinn in sich. Es heisst so viel wie: Schaff deinen Nutzen in allen Dingen, denn Gott ist in allen Dingen. Sankt Augustin spricht: Gott hat alle Dinge erschaffen, nicht dass er sie werden liesse und dann seines Weges ginge, sondern er ist in ihnen geblieben. Die Leute wähnen, sie hätten mehr, wenn sie die Dinge mit Gott haben, als wenn sie Gott ohne die Dinge hätten. Aber das ist falsch, denn alle Dinge mit Gott ist nicht mehr als Gott allein, und wer glaubte, wenn er den Sohn und den Vater zugleich hätte, hätte er mehr als wenn er den Sohn ohne den Vater hätte, der wäre im Irrtum. Darum nimm Gott in allen Dingen, und das ist ein Zeichen, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn geboren hat, nicht weniger und nicht mehr.
Der zweite Sinn ist: Schaff deinen Nutzen in allen Dingen, das heisst: liebe Gott über allen Dingen und deinen Nächsten wie dich selbst. Und liebst du hundert Pfund mehr bei dir als bei einem andern, das ist unrecht. Hast du einen Menschen lieber als einen andern, das ist unrecht; und hast du deinen Vater und deine Mutter und dich selbst lieber als einen andern, es ist unrecht; und hast du die Seligkeit lieber in dir als in einem andern, so ist es unrecht. »Gott schütze! Was sagt ihr? Soll ich die Seligkeit nicht in mir lieber haben als in einem andern?« Es gibt viele Gelehrte, die das nicht begreifen, und es dünkt sie gar schwer. Aber es ist nicht schwer, es ist ganz leicht. Ich will dir zeigen, dass es nicht schwer ist. Seht, die Natur hat zweierlei Absicht, was jedes Glied am Menschen wirken soll. Die erste Absicht, die seine Werke ins Auge fasst, ist, dass es dem Körper vor allem diene und danach einem jeden Gliede genau so wie sich selbst, und nicht weniger als sich selbst, und es beachtet sich selbst nicht mehr in seinen Werken als ein anderes Glied. Es soll vielmehr hilfreich sein. Gott soll eine Regel deiner Liebe sein. Die zweite Meinung: deine Liebe soll nur an Gott hängen und darum liebe deinen Nächsten wie dich selbst und nicht minder als dich selbst. Liebst du die Seligkeit in Sankt Peter und in Sankt Paul wie in dir selbst, so besitzest du dieselbe Seligkeit, die auch sie haben.
Also das Wort: schaff deinen Nutzen in allen Dingen, das heisst: liebe Gott ebensogern in Armut wie in Reichtum, und habe ihn so lieb in der Krankheit wie in der Gesundheit, habe ihn so lieb in Prüfungen und so lieb in Leiden wie ohne Leiden. Ja, je grössre Leiden, je geringre Leiden, wie zwei Eimer: je schwerer einer, je leichter der andre, und je mehr der Mensch gibt, um so leichter ist ihm zu geben. Einem Menschen, der Gott liebt, wäre ebenso leicht alle Welt zu schenken, wie ein Ei. Je mehr er gibt, je leichter ist ihm zu geben, wie die Apostel: je schwerere Leiden sie hatten, je leichter litten sie es.
Das dritte: arbeite in allen Dingen, das heisst: wo du dich in mannigfaltigen Dingen befindest und anders als in einem blossen reinen einfachen Wesen, dass lass dir eine Arbeit sein; das heisst: Arbeit in allen Dingen füllet deinen Dienst. Das heisst so viel wie: heb auf dein Haupt. Das hat zweierlei Sinn. Der erste ist: leg ab alles was dein ist und gib dich Gott zu eigen; so wird Gott dein eigen, wie er sein selbst eigen ist, und er ist dir Gott, wie er sich selbst Gott ist, und nicht weniger. Was mein ist, das habe ich von niemand. Habe ich es aber von einem andern, so ist es nicht mein, sondern des andern, von dem ich es habe.
Der zweite Sinn ist: heb auf dein Haupt, das heisst: richte alle deine Werke auf Gott. Es sind viele Leute, die das nicht begreifen, und das dünkt mich nicht wunderbar: denn der Mensch, der dies begreifen soll, der muss sehr abgeschieden sein und erhoben über all diese Dinge. Dass wir zu dieser Vollkommenheit kommen, das walte Gott. Amen.

21. Vom Tod

Man lieset von den heiligen Märtyrern, deren man heute gedenkt, dass sie durch das Schwert gestorben sind. Unser Herr sprach zu seinen Jüngern: »Selig seid ihr, so ihr etwas leidet um meines Namens willen.« Nun sagt die Schrift von diesen ärtyrern, dass sie um Christi Namen willen den Tod gelitten haben und durch das Schwert umgebracht worden sind.
Hier sollen wir drei Dinge merken. Das erste, dass sie tot sind. Was man in dieser Welt leidet, das endet. Sankt Augustin spricht: Alle Pein und alle Werke der Pein, das nimmt alles ein Ende, und der Lohn ist ewig. Das zweite, das wir betrachten sollen, dass dies ganze Leben tödlich ist, dass wir alle Pein und alle Mühsal, die uns zustösst, nicht fürchten sollen, denn es nimmt ein Ende. Das dritte, dass wir uns erhalten, als wären wir tot, dass uns nichts trübe, nicht Freude noch Leid noch alle Qual. Es sagt ein Meister: Den Himmel kann nichts berühren. Das meint, der Mensch ist ein himmlischer Mensch, dem alle Dinge nicht so viel sind, dass sie ihn berühren können. Es sagt ein Meister: Da doch alle Kreaturen so erbärmlich sind, woher kommt es denn, dass sie den Menschen so leicht von Gott abwenden? Die Seele ist doch in ihrem Erbärmlichsten besser als der Himmel und alle Kreaturen? Es antwortet ein Meister: es kommt davon, dass er Gottes nicht so achtet wie er sollte.
Täte er das, es wäre fast unmöglich, dass er je abfiele. Und es ist nur eine gute Lehre, dass sich der Mensch in dieser Welt so halten soll, als ob er tot wäre. Sankt Gregorius sagt, niemand habe so viel Gott, als der, der im Grunde tot sei.
Die vierte Lehre ist die allerbeste. Er sagt, dass sie tot sind. Der Tod gibt ihnen ein Wesen. Es sagt ein Meister: Die Natur zerbricht nie, ohne dass sie ein Besseres dafür gibt. Wenn das die Natur tut, wie viel mehr tut es Gott: der zerbricht niemals, dass er nicht ein Besseres gäbe. Die Märtyrer sind tot, sie haben ein Leben verloren und haben ein Wesen empfangen. Ich bin gewiss, erkennte eine Seele das geringste, was Wesen hat, sie wollte sich keinen Augenblick davon abkehren. Das Erbärmlichste, was man in Gott erkennt, wie wenn einer eine Blume verstünde, so wie sie ein Wesen in Gott hat, das stünde höher als die ganze Welt. Das Erbärmlichste, das in Gott ist wie es Wesen ist, ist besser als wenn einer einen Engel erkennte. Und dies sollte der Mensch leidenschaftlich begehren und betrachten, dass das Wesen so hoch
steht. Wir preisen den Tod in Gott, auf dass er uns in ein Wesen wandle, das besser ist als ein Leben; ein Wesen, darin unser Wesen lebt, wo unser Leben ein Wesen wird.
Der Mensch soll sich willig in den Tod ergeben und sterben, damit ihm ein besseres Leben werde. Es muss ein gar kräftiges Leben sein, in dem tote Dinge lebendig werden, in dem selbst der Tod ein Leben wird. Bei Gott stirbt nichts: alle Dinge werden in ihm lebendig. Sie sind tot (spricht die Schrift von den Märtyrern) und sind in ein ewiges Leben versetzt, in das Leben, wo das Leben ein Wesen ist. Man soll im Grunde tot sein, dass uns nicht Freude noch Leid berühre. Wir bitten drum unsern lieben Herrgott, er möge uns helfen aus einem Leben, das geteilt ist, in ein Leben, das eins geworden ist. Das walte Gott. Amen.

22. Was ist Gott?

Was ist Gott und was ist der Tempel Gottes? Vierundzwanzig Meister kamen zusammen und wollten sagen, was Gott sei, und konnten es nicht. Hernach kamen sie zu geeigneter Zeit wieder und jeder von ihnen brachte seinen Spruch mit, von denen nehme ich jetzt zwei oder drei. Der eine sprach: Gott ist etwas, gegen den alle wandelbaren und zeitlichen Dinge nichts sind, und alles was Wesen hat, ist von ihm und ist gegen ihn klein. Der zweite sprach: Gott ist etwas, das da über Wesen ist und das in sich selbst niemandes bedarf und dessen alle Dinge bedürfen. Der dritte sprach: Gott ist eine Vernünftigkeit, die sich selbst erkennen will.
Ich lasse das erste und das dritte und spreche von dem zweiten, dass Gott etwas ist, das notwendig über Wesen sein muss. Was Wesen hat, Zeit oder Raum, das gehört nicht zu Gott, er ist über dasselbe; was er in allen Kreaturen ist, das ist er doch darüber; was da in vielen Dingen eins ist, das muss notwendig über den Dingen sein. Einige Meister wollten, die Seele wäre allein im Herzen. Dem ist nicht so, und darin haben grosse Meister geirrt. Die Seele ist ebensogut ganz und ungeteilt im Fuss und im Auge. Nehme ich ein Stück von der Zeit, so ist es weder der Tag heute noch der Tag gestern. Nehme ich aber ein Nu, das begreift alle Zeit in sich. Das Nu, worin Gott die Welt machte, ist dieser Zeit ebenso nahe, wie das Nu, worin ich eben spreche, und der jüngste Tag ist diesem Nu so nahe wie der Tag gestern war.
Ein Meister sagt: Gott ist etwas, das in Ewigkeit ungeteilt in sich selbst wirkt, das niemandes Hilfe und keines Werkzeuges bedarf, und das in sich selbst bleibt, das nichts bedarf und dessen alle Dinge bedürfen und nach dem alle Dinge trachten als in ihr letztes Ende. Dies Ende hat keine Weise, es entwächst der Weise und geht in die Weite. Sankt Bernhard sagt: Gott lieben, das ist weise ohne Weise. Kein Ding kann über sein Wesen wirken. Gott aber wirkt über Wesen in der Weite, wo er sich rühren kann, er wirkt in Unwesen Wesen; ehe ein Wesen war, wirkte Gott.
Grosse Meister sagen, Gott sei ein absolutes Wesen; er ist hoch über Wesen, wie der oberste Engel über einer Mücke. Und ich sage, es ist ebenso unrecht, Gott ein Wesen zu heissen, als ob ich die Sonne bleich oder schwarz hiesse. Gott ist weder dies noch das. Und es sagt ein Heiliger: Wenn einer wähnt, er habe Gott erkannt – wenn er etwas erkannt hat, so hater etwas erkannt und hat also nicht Gott erkannt.
Kleine Meister lesen in der Schule, alle Wesen seien auf zweierlei Weise geteilt, und diese Weisen sprechen sie Gott völlig ab. Von diesen Weisen berührt Gott keine und er entbehrt auch keine. Die erste, die am allermeisten Wesen hat, worin alle Dinge Wesen annehmen, ist die Substanz, und das letzte, was am wenigsten Wesen in sich trägt, heisst relatio, das ist in Gott gleich dem allergrössten, das am allermeisten Wesen hat; sie haben ein gleiches Bild in Gott. In Gott sind aller Dinge Bilder gleich; aber sie sind ungleich dem Bild der Dinge. Der höchste Engel und die Seele und die Mücke haben ein gleiches Bild in Gott. Gott ist nicht Wesen noch Güte. Güte klebt an Wesen und ist nicht breiter als Wesen, denn wäre nicht Wesen, so wäre nicht Güte, und Wesen ist noch reiner als Güte. In Gott ist weder Güte noch Besseres noch Allerbestes. Wer sagte, dass Gott gut sei, der täte ihm ebenso unrecht, als wer die Sonne schwarz hiesse. Nun spricht doch Gott: niemand ist gut als Gott allein. Was ist gut? Was sich dem Allgemeinen mitteilt. Den heissen sie einen guten Menschen, der gemeinnützig ist. Darum sagt ein heidnischer Meister, ein Einsiedler sei weder gut noch böse (dem Sinne nach), weil er der Gemeinschaft und den Leuten nicht nützlich sei. Gott ist das allgemeinste. Kein Ding teilt von dem Seinen mit, weil alle Kreaturen an sich selbst nichts sind. Was sie mitteilen, das haben sie von einem andern. Sie geben sich auch nicht selbst. Die Sonne gibt ihren Schein und bleibt doch dastehen, das Feuer gibt seine Hitze und bleibt doch Feuer; aber Gott teilt das Seine mit, weil er an sich selber ist, was er ist, und in allen den Gaben, die er gibt, gibt er sich selbst immer am ersten. Er gibt sich als Gott wie er ist in allen seinen Gaben, sofern es an ihm ist, dass einer ihn empfangen könnte.
Wenn wir Gott im Wesen nehmen, so nehmen wir ihn in seiner Vorburg; denn Wesen ist seine Vorburg, worin er wohnt. Wo ist er denn in seinem Tempel? Dies ist die Vernünftigkeit, wo er heilig erglänzt, wie der andere Meister sagte, dass Gott eine Vernunft ist, die in ihrer Erkenntnis allein lebt und in sich selbst allein bleibt, und da hat ihn nie etwas berührt, denn er ist da allein in seiner Stille. Gott in seiner Selbsterkenntnis erkennt sich selbst in sich selbst.

23. Vom persönlichen Wesen

Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe wohnt, der wohnt in Gott und Gott in ihm. Gott wohnt in der Seele mit allem dem, was er ist, und alle Kreatur. Darum: wo die Seele ist, da ist Gott, denn die Seele ist in Gott Darum ist auch die Seele, wo Gott ist, es sei denn, dass die Schrift lüge. Wo meine Seele ist, da ist Gott, und wo Gott ist, da ist auch meine Seele, und das ist so wahr als Gott Gott ist.
Nicht allein von Natur, sondern über Natur freut sich meine Seele aller Freude und aller Seligkeit, deren sich Gott selber freut in seiner göttlichen Natur, es sei Gott lieb oder leid, denn deren ist nur eines, und wo eins ist, da ist alles, und wo alles ist, da ist eins. Das ist eine sichere Wahrheit Wo die Seele ist, da ist Gott, und wo Gott ist, da ist die Seele. Und sagte ich, dass es nicht so sei, so spräche ich unrecht.
Fürwahr, nun achtet auf ein Wörtlein, das halte ich gar wert, denn ich gedenke dessen, wie eins er mir ist, als ob er aller Kreatur vergessen habe und nicht mehr sei als ich allein. Nun bittet für die, die mir empfohlen sind! Die da um ein Teil Gottes oder um Gott bitten, die bitten unrecht; wenn ich um nichts bitte, so bitte ich recht, und das Gebet ist recht und ist kräftig. Wer irgend etwas anderes bittet, der betet einen Abgott an, und man könnte sagen, es wäre lauter Ketzerei. Ich bitte nie so wohl als wenn ich um nichts bitte und für niemand, weder für Heinrich noch für Konrad. Die wahren Anbeter beten Gott in der Wahrheit an und im Geist [nämlich im heiligen Geist]; was Gott in der Kraft ist, das sind wir im Bilde. Da erkennen wir wie wir erkannt sind, und lieben wie wir geliebt sind. Das ist auch ohne Werk, denn die Seele ist da eins mit dem Bilde und wirkt in der Kraft als Kraft; sie ist auch eins mit den Personen und besteht im Vermögen des Vaters und in der Weisheit des Sohnes und in der Güte des heiligen Geistes. Dies ist alles noch Werk in den Personen; das Wesen darüber aber ist ohne Werk, sondern da ist alles eins, Wesen und Werk, wo sie in Gott ist, ja wo die Personen in das Wesen hineinreichen, da ist Werk und Wesen eins, da liebt sie die Personen, sofern sie im Wesen innen bleiben und nie herauskommen, da ist ein reines wesenhaftes Bild, es ist die wesenhafte Vernünftigkeit Gottes, der die reine Kraft des Lebendigen ist, intellectus, was die Meister ein Vernehmendes nennen. Nun passt wohl auf. Darum liebt sie erst das reine absolucio des freien Wesens, das ohne Ort ist, das nicht liebt und nicht gibt, es ist die blosse Istigkeit, die alles Wesens und aller Istigkeit beraubt ist. Da liebt sie Gott bloss nach dem Grunde, da wo er ist, über alle Wesen. Wäre da noch Wesen, so nähme sie Wesen in Wesen; es ist da nichts als ein Grund. Dies ist die höchste Vollkommenheit des Geistes, wozu man in diesem Leben in der Art des Geistes kommen kann. Aber das ist nicht die höchste Vollkommenheit, die wir jemals mit Leib und Seele erreichen sollen, dass der gequälte Mensch allzumal in dieser Unterkunft festgehalten werde, ein persönliches Wesen habe – sowie die Menschheit und die Gottheit Christi ein persönliches Wesen ist – dass ich nun darin Unterkunft habe, dass ich das persönliche Wesen selber sei allzumal in meinem Selbstbewusstsein verharrend – wo ich doch in der Art des
Geistes, in dem Grunde, eins bin, so wie der Grund selbst ein Grund ist – und dass ich hinwiederum in meinem äusseren Wesen dasselbe persönliche Wesen sei, das seines Selbstbewusstseins völlig beraubt sei: dieses persönliche Wesen, MenschGott, entwächst vielmehr und schwebt über den äusseren Menschen hinaus, so weit, dass er ihm nicht mehr folgen kann. Bleibt er in sich selbst stehen, so empfängt er wohl den Einfluss der Gnade von dem persönlichen Wesen in mancherlei Weise, Süssigkeit, Trost und Innigkeit, und das ist gut, aber es ist nicht das Höchste. Bleibt er also in sich selbst in der Unterkunft seiner selbst, so empfängt er wohl Trost aus Gnade und mit der Wirkung der Gnade, aber das ist nicht sein Bestes; dann müsste der innere Mensch sich nach Geistesart aus dem Grunde, in dem er eins ist, herausbiegen und müsste sich dem gnadenhaften Wesen zuwenden, von dem er Gnade empfängt. Darum kann der Geist so niemals vollkommen werden, Leib und Seele werden vollendet, wenn der innere Mensch in der Art des Geistes seinem eigenen Wesen entrinnt, dahin, wo er im Grunde ein Grund ist; und ebenso muss auch der äussere Mensch der eigenen Unterkunft beraubt werden und allzumal in dem ewigen persönlichen Wesen aufgehen, das ein und dasselbe persönliche Wesen ist. Nun sind hier zwei Wesen. Das eine Wesen ist in der Gottheit das blosse substanzliche Wesen; das andere das persönliche Wesen, und ist doch ein Untergrund: denn derselbe Untergrund, Christi Persönlichkeit, ist auch der Untergrund der Seele, die Stätte des ewigen Menschtums, und diese Unterkunft ist ein Christus, das leiblich Seiende wie das Selbstbewusstsein der Person. Daher wollen wir auch eben dieser Christus sein, damit wir ihm in den Werken nachfolgen, wie er in dem Wesen ein Christus in menschlicher Art ist; denn da ich mit meinem Menschtum dieselbe Art bin, so bin ich mit dem persönlichen Wesen dergestalt vereinigt, dass ich aus Gnade in dem persönlichen Wesen eins und das persönliche Wesen selber bin,
denn Gott bleibt ewiglich im Grunde des Vaters und ich in ihm, ein Grund und ein und derselbe Christus, eine Stätte meines Menschtums; es ist ebensosehr mein wie sein in einer Verkörperung des ewigen Wortes, auf dass beide Wesen, Leib und Seele, in einem Christus vollendet werden, ein Gott, ein Sohn. Dass uns das geschehe, das walte Gott.

Traktate

1. Von den Stufen der Seele

Wer zu seiner höchsten Stufe und zur Anschauung des obersten Gutes, das Gott selbst ist, gelangen will, der soll ein Kennen seiner selbst und der Dinge, die über ihm sind, haben, bis zum höchsten, so kommt er zur höchsten reinen Erkenntnis. Darum, lieber Mensch, lerne dich selbst erkennen, denn das ist dir besser als wenn du die Kraft aller Kreaturen erkenntest. Wie du dich selbst erkennen sollst, dafür merke zweierlei Weise.
Zum ersten sollst du darauf achten, ob deine äusseren Sinne an ihrer Stelle wohlgeordnet sind. Seht, nun merkt, wie es um unsre äussern Sinne steht. Die Augen sind allzeit ebenso bereit das Böse zu sehen wie das Gute. Ebenso ist das Gute auch von den Ohren zu hören, und ebenso können auch die andern Sinne wahrnehmen. Daher sollt ihr euch eifrig und mit grossem Ernst zu guten Dingen zwingen. So viel von äussern Sinnen.
Nun vernehmet von den innern Sinnen, das sind die Kräfte einer höheren Stufe, die in der Seele sind, die niedersten und die obersten. Nun erfahret von den niedersten Kräften. Die sind Mittel der obersten Kräfte und der äusseren Sinne. Darum sind sie den äussern Sinnen so nahe gelegen: was das Auge sieht und das Ohr hört, das bringen sie sofort in das Begehren. Ist es dann eine geordnete Sache, so bringt das Begehren es sofort in eine zweite Kraft, die heisst Anschauung. Die schaut es an und bringt es wiederum weiter zur dritten, die heisst Vernünftigkeit. So wird es immer reiner, bevor es in die obersten Kräfte kommt. Die Kraft der Seele steht auf so hoher Stufe, dass sie es ohne Gleichnis und ohne Bild wahrnimmt und es in die obersten Kräfte hinaufträgt. Da wird es im Gedächtnis aufbewahrt und im Verstande verstanden und im Willen erfüllt. Das sind die obersten Kräfte der Seele, und sie sind in einer Natur. Und alles was die Seele wirkt, das wirkt auch die einfache Natur in den
Kräften.
Nun merkt auf, wie die Seele zu ihrer obersten Stufe und ihrer grössten Vollendung kommt. Es sagt ein Meister: Gott wird in die Seele getragen und versetzt. So entspringt ein göttlicher Liebesquell in der Seele, der trägt die Seele zu Gott zurück. Seht, ihr sollt erfahren, wie das sei. Es sagt ein Heiliger: Alles was man von Gott sprechen kann, das ist Gott nicht. Und es spricht ein anderer Heiliger: Alles was man von Gott sprechen kann, das ist Gott. Und endlich spricht ein grosser Meister, dass sie beide die Wahrheit sagen. Wie diese drei Heiligen sprechen, so spreche ich das Folgende: Wenn die Seele mit ihrem Verstande etwas vom göttlichen Verstande versteht, so wird es dann sofort dem Willen übergeben. So nimmt es der Wille in sich und wird eins damit und alsdann erst bringt und versetzt er es in das Gedächtnis. Auf diese Weise wird Gott in die Seele getragen und versetzt. Fürwahr, nun vernehmet von dem göttlichen Liebesquell. Er fliesst in der Seele über, so dass sich die obersten Kräfte in die niedersten ergiessen, und diese ergiessen sich in den äussern Menschen und erheben ihn aus aller Niedrigkeit, so dass er nichts wirken mag als geistige Dinge. Wie der Geist wirkt gemäss göttlichen Werken, so muss der äussere Mensch gemäss dem Geiste wirken.
O Wunder über Wunder, wenn ich an die Vereinigung denke, die die Seele mit Gott hat! Er macht die Seele wonnefreudig, aus sich selbst zu fliessen, denn alle genannten Dinge genügen ihr nicht. Und da sie selbst eine genannte Natur ist, darum genügt sie sich selbst nicht. Der göttliche Liebesquell fliesst auf die Seele und zieht sie aus sich selbst in das ungenannte Wesen in ihren ersten Ursprung, der Gott allein ist. Obwohl ihm die Kreatur Namen gegeben hat, so ist er doch an sich selbst ein ungenanntes Wesen. So kommt die Seele in ihre höchste Vollendung.
Fürwahr, Herzensfreunde, nun höret weiter von den Stufen der Seele. Es sagt Sankt Augustin: gerade wie es um Gott ist, so ist es auch um die Seele. Seht, wie sie gebildet ist nach dem Bilde der heiligen Dreifaltigkeit, das erfahret bei der Auslegung Gottes.
Gott ist dreifach von Personen und ist einfach von Natur. Gott ist auch an allen Orten und an jedem ist Gott zugleich. Das heisst so viel, als ob alle Orte ein Ort Gottes wären. So steht es auch um die Seele. Gott hat Vorsehung aller Dinge und bildet alle Dinge in seiner Vorsehung. Das alles ist Gott natürlich. So steht es auch um die Seele. Sie ist auch dreifach an Kräften und einfach von Natur. Die Seele ist auch in allen Gliedmassen und in jedem Glied ist sie zugleich.Daher sind alle Glieder ein Ort der Seele. Sie hat auch Vorsehung und bildet die Dinge, die ihr möglich sind.
Von allem, was man von Gott sprechen kann, hat die Seele etwas Gleichnis.
Nun will ich sprechen von einer reinen Gotteserkenntnis. Ich habe euch im Auge, Bruder und Schwester, weil ihr Gottes allerbeste Freunde seid und ihm allertrautest von allen, die hier zuhören. Das Fliessen ist in der Gottheit eine Einheit der drei Personen ohne Unterscheidung. In demselben Fluss fliesst der Vater in den Sohn, und der Sohn fliesst zurück in den Vater und sie beide fliessen in den heiligen Geist, und der heilige Geist fliesst zurück in sie beide. Darum spricht der Vater seinen Sohn und spricht sich in seinem Sohne allen Kreaturen, alles in diesem Fliessen.
Wo sich der Vater wieder in sich zurückwendet, da spricht er sich selbst in sich selbst. Auf diese Weise ist der Fluss in sich selbst zurückgeflossen, wie Sankt Dionysius sagt. Darum ist dieser Fluss in der Gottheit ein Sprechen ohne Wort und ohne Laut, ein Hören ohne Ohren, ein Sehen ohne Augen. Darum spricht sich jede Person in der andern ohne Wort in dem Flusse. Darum ist es ein Fluss ohne Fliessen. Hiervon vernehmet ein Gleichnis von der edeln Seele, die hat etwas in sich, was diesem Fluss besonders gleich ist: wo die obersten Kräfte und die Natur eine Eigenschaft tragen, da fliesst jede in die andere und spricht sich ohne Wort und ohne Laut. Selig sei die Seele, die da im Anschauung des ewigen Lichtes kommt.
Nun könnte man sprechen: Das ist alles schön und wohl gesprochen. Herzensfreund, wie geschieht das nun, dass ich zu der Stufe gelange, von der du geschrieben hast? Seht, ihr müsst wissen: Gott ist was er ist, und was er ist, ist mein, und was mein ist, das liebe ich, und was ich liebe, das liebt mich und zieht mich an sich, und was mich angezogen hat, dem gehöre ich mehr als mir selbst. Seht, darum liebet Gott, dann werdet ihr Gott mit Gott. Davon will ich nichts weiter sagen.
Die auf sich selbst verzichtet haben, und Gott in der rechten Entblösstheit nachfolgen, wie könnte das Gott lassen, er muss ja seine Gnade in die Seele giessen, die sich so in der Liebe vernichtet hat. Er giesst seine Gnade in sie und erfüllt sie und gibt sich ihr selbst in Gnaden hin.
Da schmückt Gott die Seele mit sich selbst, gerade wie das Gold mit edlem Gestein geschmückt wird. Dann bringt er die Seele in die Anschauung seiner Gottheit. Das geschieht in der Ewigkeit und nicht in der Zeit. Doch hat sie einen Vorgeschmack in der Zeit, dadurch dass hier von diesem heiligen Leben gesprochen worden ist. Das ist darum geschehen, damit ihr das wisst, dass niemand zur höchsten Stufe der Erkenntnis und des Lebens gelangen kann, ohne freiwilliger Armut nachzugehn und den Armen gleich zu sein. Das ist für alle Leute das Allerbeste. Nun loben wir Gott um seiner ewigen Güte willen, und bitten ihn, er möge uns schliesslich bei sich aufnehmen. Dazu verhelfe uns der Vater und der Sohn und der heilige Geist. Amen.

2. Gespräch zwischen Schwester Kathrei und dem Beichtvater

Der Beichtvater geht oft zu der Tochter und spricht: Sage mir, wie geht es dir jetzt.
Sie spricht: Es geht mir übel, mir ist Himmel und Erde zu eng. –
Er bittet sie, ihm etwas zu sagen. Sie spricht: Ich weiss nicht, was so klar ist, dass ich es sagen könnte. –
Er spricht: Tu es Gott zulieb, sage mir ein Wort.
Er gewinnt ihr mit vielem Bitten ein Wörtlein ab. Da redete sie mit ihm so wunderbar und so tiefe Sprüche von der nackten Findung göttlicher Wahrheit, dass er spricht: Weisst du, das ist allen Menschen unbekannt, und wäre ich nicht ein so grosser Gelehrter, dass ich es selbst in der Gotteswissenschaft gefunden hätte, so wäre es mir auch unbekannt. –
Sie spricht: Das gönne ich euch schlecht; ich wollte, ihr hättet’s mit dem Leben gefunden.
Er spricht: Du sollst wissen, dass, ich davon so viel gefunden habe, dass ich es so gut weiss, wie ich es weiss, dass ich heute die Messe gelesen habe. Aber dass ich es nicht mit dem Leben in Besitz genommen habe, das ist mir leid.
Die Tochter spricht: Bittet Gott für mich, und geht wieder in ihre Einsamkeit zurück und verkehrt mit Gott. Es dauert aber nicht lange, so kommt sie wieder vor die Pforte, fragt nach ihrem würdigen Beichtvater und spricht: Herr, freuet euch mit mir, ich bin Gott geworden.
Er spricht: Gott sei gelobt! Geh weg von allen Leuten in deine Einsamkeit, bleibst du Gott, ich gönne ihn dir gern.
Sie ist dem Beichtvater gehorsam und geht in die Kirche in einen Winkel. Da kam sie dazu, dass sie alles dessen vergass, was je Namen trug, und ward so fern aus sich selbst und aus allen erschaffenen Dingen herausgezogen, dass man sie aus der Kirche tragen musste, und sie lag bis an den dritten Tag, und sie hielten sie für sicherlich tot.
Der Beichtvater sprach: Ich glaube nicht, dass sie tot ist.
Wisset, wäre der Beichtvater nicht gewesen, so hätte man sie begraben. Man versuchte es mit allem, was man nur wusste, aber man konnte nicht finden, ob die Seele noch in dem Körper sei. Man sprach: Sie ist sicher tot.
Der Beichtvater sprach: Nein, gewiss nicht.
Am dritten Tag kam die Tochter wieder zu sich.
Sie sprach: Ach, ich Arme, bin ich wieder hier?
Der Beichtvater war alsbald da und redete zu ihr und sprach: Lass mich göttlichen Wortes geniessen und tue mir kund, was du gefunden.
Sie sprach: Gott weiss wohl, ich kann nicht. Was ich gefunden habe, das kann niemand in Worte fassen.
Er sprach: Hast du nun alles, was du willst?
Sie sprach: Ja, ich bin bewähret.
Er sprach: Wisse, diese Rede höre ich gerne, liebe Tochter, rede weiter.
Sie sprach: Wo ich stehe, da kann keine Kreatur in kreatürlicher Weise hinkommen.
Er sprach: Berichte mich besser.
Sie sprach: Ich bin da, wo ich war, ehe ich geschaffen wurde, da ist bloss Gott und Gott. Da gibt es weder Engel noch Heilige, noch Chöre, noch Himmel. Manche Leute sagen von acht Himmeln und von neun Chören; davon ist da nichts, wo ich bin. Ihr sollt wissen, alles was man so in Worte fasst und den Leuten mit Bildern vorlegt, das ist nichts als ein Mittel zu Gott zu locken. Wisset, dass in Gott nichts ist als Gott; wisset, dass keine Seele in Gott hineinkommen kann, bevor sie nicht, so Gott wird, wie sie Gott war, bevor sie geschaffen wurde.
Er sprach: Liebe Tochter, du sprichst wahr. Nun tu es um Gottes willen und rate mir deinen nächsten Rat, wie ich dazu komme, dass ich dies Gut besitze.
Sie sprach: Ich gebe euch einen getreuen Rat. Ihr wisset wohl, dass alle Kreaturen von Nichts geschaffen sind und wieder zu Nichts werden müssen, ehe sie in ihren Ursprung kommen. –
Er sprach: Das ist wahr.
Sie sprach: So ist euch genug gesagt. Prüfet, was ist Nichts ?
Er sprach: Ich weiss, was Nichts ist, und weiss wohl, was weniger ist als Nichts. Das sollst du so verstehn; alle vergänglichen Dinge sind vor Gott nichts. Wer also Vergängliches übt, der ist weniger als Nichts. – Warum? – Er ist des Vergänglichen Knecht. Nichts ist Nichts. Wer dem Nichts dient, ist weniger als Nichts.
Sie sprach: Das ist wahr. Danach richtet euch, wenn ihr zu eurem Gut kommen wollt, und ihr sollt euch vernichten unter euch selbst und unter alle Kreatur, so dass ihr nichts mehr zu tun findet, damit Gott in euch wirken könne.
Er sprach: Du sagst die Wahrheit. Ein Meister spricht: »Wer Gott als seinen Gott liebt und Gott als seinen Gott anbetet und sich damit genügen lässt, das ist für mich ein ungläubiger Mensch.«
Sie sprach: Selig sei der Meister, der dies je gesprochen hat: er erkannte die Wahrheit. Ihr sollt wissen, wer sich damit genügen lässt, mit dem, was man in Worte fassen kann: Gott ist ein Wort, Himmelreich ist ein Wort; wer nicht weiter kommen will mit den Kräften der Seele, mit Erkenntnis und mit Liebe, als je in Worte gefasst ward, der soll mit Fug ein Ungläubiger heissen.
Was man in Worte fasst, das begreifen die niedersten Sinne oder Kräfte der Seele. Damit begnügen sich die obersten Kräfte der Seele nicht: sie dringen immer weiter voran, bis sie in den Ursprung kommen, woraus die Seele geflossen ist. Ihr sollt aber wissen, dass die Kraft der Seele nicht in den Ursprung kommen kann. Wenn die Seele in ihrer Majestät über allen geschaffenen Dingen vor dem Ursprung steht, so bleiben alle Kräfte draussen. Das sollt ihr so verstehen. Es ist die Seele nackt und aller namentragenden Dinge entblösst, so steht sie eins in einem, so dass sie ein Vorwärtsgehen in der blossen Gottheit hat, wie das Oel auf dem Tuche, das läuft immer weiter: so läuft die Seele weiter und fliesst immer vorwärts, solange als Gott das angeordnet hat, dass sie dem Leib in der Zeit Wesen geben muss. Wisset, solange der gute Mensch auf Erden lebt, solange hat seine Seele Fortgang in der Ewigkeit Darum haben gute Menschen das Leben lieb. Wie die Guten hinaufgehen, so gehen die Bösen, die in Fehlern sind, hinab.
Fürwahr, liebe Tochter, nun erkläre mir: Man spricht von der Hölle und vom Fegefeuer und vom Himmelreich, und davon lesen wir gar viel. Nun lesen wir aber auch, dass Gott in allen Dingen ist und alle Dinge in Gott.
Sie sprach: Das sage ich dir gerne, soweit ich’s in Worte fassen kann. Hölle ist nichts als ein Wesen. Was hier das Wesen der Leute ist, das bleibt ihr Wesen in Ewigkeit, so wie sie drin gefunden werden. Eine Menge Leute glauben, sie hätten hier ein Wesen der Kreatur und dort besässen sie ein göttliches Wesen. Das kann nicht sein. Wisset, dass darin sich viele Leute täuschen. Das Fegefeuer ist ein angenommenes Ding wie eine Busse, das nimmt ein Ende. Man spricht vom jüngsten Tage, dass Gott da Urteil sprechen soll. Das ist wahr. Es ist aber nicht so, wie die Leute wähnen. Jeder Mensch urteilt über sich selbst: wie er da in seinem Wesen erscheint, so soll er ewiglich bleiben.
Die Tochter redete immer weiter und kam mit der Rede auf Gott und sprach so viel von Gott, dass der Beichtvater nur immer sprach: Liebe Tochter, rede weiter.
Die Tochter sagte ihm so viel von der Grösse Gottes und seiner Macht und seiner Vorsehung, dass er von allen seinen äussern Sinnen kam, und man ihn in eine stille Zelle tragen musste, und da lag er eine lange Zeit, ehe er wieder zu sich kam. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er Begierde, dass die Tochter zu ihm käme. Die Tochter kam zu dem Beichtvater und sprach: Wie geht es euch jetzt?
Er sprach: Von Herzen gut. Gelobt sei Gott, dass er dich je zu einem Menschen schuf! Du hast mir den Weg zu meiner ewigen Seligkeit gewiesen, ich bin zur Anschauung Gottes gekommen, und mir ist ein wahres Wissen alles dessen gegeben, was ich von deinem Munde gehört habe. Fürwahr, liebe Tochter, gedenke der Liebe, die du von Gott hast, und hilf mir mit Worten und mit Werken, dass ich da, wo ich jetzt bin, ein Bleiben erlange.
Sie sprach: Wisset, das kann nicht sein. Ihr habt nicht die rechte Natur dazu. Wenn eure Seele und eure Kräfte in gewohnter Weise den Weg auf und nieder gehen, wie ein Gefolge an einem Hofe aus und eingeht, und ihr das himmlische Gefolge und alles, was Gott je schuf, so gut zu unterscheiden versteht, wie ein Mann sein Gefolge kennt, dann sollt ihr den Unterschied zwischen Gott und der Gottheit prüfen. Dann erst sollt ihr danach trachten, dass ihr bewährt werdet. Ihr sollt euch nicht verirren, ihr sollt mit den Kreaturen Kurzweil suchen, dass ihr keinen Schaden davon nehmt und auch sie von euch keinen Schaden erleiden. Hiermit sollt ihr eure Kräfte heben, damit ihr nicht in Raserei verfallet. Dies sollt ihr so oft tun, bis die Kräfte der Seele gereizt werden, bis ihr in das Wissen gelangt, von dem wir vorhin geredet haben. – Gelobt und geehrt sei der süsse Name unsres Herrn Jesu Christi. Amen.

3. Von der Abgeschiedenheit

Ich habe viele Schriften gelesen, von heidnischen Meistern und von Propheten, und vom alten und neuen Bund, und habe mit Ernst und ganzem Fleiss gesucht, was die beste und höchste Tugend sei, mit der der Mensch sich auf dem nächsten Wege zu Gott verfügen könnte, und mit der der Mensch ganz gleich wäre dem Bilde, wie er in Gott war, indem zwischen ihm und Gott kein Unterschied war, bevor Gott die Kreaturen erschuf. Und wenn ich alle Schriften durchforsche, so gut meine Vernunft zu ergründen und erkennen vermag, so finde ich nichts anderes als reine Abgeschiedenheit, die aller Kreaturen entledigt ist. Darum sprach unser Herr zu Martha: »unum est necessarium,« das heisst so viel wie: wer ungetrübt und rein sein will, der muss eines haben, und das ist Abgeschiedenheit.
Die Lehrer loben gar gewaltig die Liebe, wie zum Beispiel Sankt Paulus mit den Worten: »Was ich auch üben mag, habe ich nicht Liebe, so habe ich gar nichts.« Ich aber lobe die Abgeschiedenheit mehr als alle Liebe. Zum ersten darum, weil das Gute an der Liebe ist, dass sie mich zwingt, Gott zu lieben. Nun ist es viel mehr wert, dass ich Gott zu mir zwinge als dass ich mich zu Gott zwinge. Und das kommt daher, dass meine ewige Seligkeit daran liegt, dass ich und Gott vereinigt werden; denn Gott kann sich passender mir anpassen und besser mit mir vereinigen, als ich mit ihm. Dass Abgeschiedenheit Gott zu mir zwingt, das bewähre ich damit: ein jedes Ding ist doch gerne an seiner natürlichen Eigenstätte. Nun ist Gottes natürliche Eigenstätte Einfachheit und Reinheit; die kommen von der Abgeschiedenheit. Darum muss Gott notwendig sich selbst einem abgeschiedenen Herzen hingeben. – Zum zweiten lobe ich die Abgeschiedenheit mehr als die Liebe, weil die Liebe mich dazu zwingt, alles um Gottes willen auf mich zu nehmen, während die Abgeschiedenheit mich dazu zwingt, dass ich für nichts empfänglich bin als für Gott. Nun steht es aber viel höher, für gar nichts als Gott empfänglich zu sein, als um Gottes willen alles zu tragen.
Denn in dem Leiden hat der Mensch noch einen Hinblick auf die Kreatur, von der er zu leiden hat. Die Abgeschiedenheit dagegen ist aller Kreatur entledigt. Dass aber die Abgeschiedenheit für nichts als für Gott empfänglich ist, das beweise ich: denn was empfangen werden soll, dass muss irgendworin empfangen werden. Nun ist aber die Abgeschiedenheit dem Nichts so nahe, dass kein Ding so zierlich ist, dass es in der Abgeschiedenheit enthalten sein kann als Gott allein. Der ist so einfach und zierlich, dass er wohl in dem abgeschiedenen Herzen sich aufhalten kann.
Die Meister loben auch die Demut vor vielen andern Tugenden. Ich lobe die Abgeschiedenheit vor aller Demut, und zwar darum. Die Demut kann ohne die Abgeschiedenheit bleiben; dagegen gibt es keine vollkommene Abgeschiedenheit ohne vollkommene Demut. Denn vollkommene Demut zielt auf ein Vernichten seiner selbst; nun berührt sich aber die Abgeschiedenheit so nahe mit dem Nichts, dass zwischen ihr und dem Nichts kein Ding mehr sein kann. Daher kann es keine vollkommene Abgeschiedenheit ohne Demut geben, und zwei Tugenden sind immer besser als eine. Der andere Grund, warum ich die Abgeschiedenheit der Demut vorziehe, ist das, dass die vollkommene Demut sich selbst unter alle Kreaturen beugt, und eben damit begibt sich der Mensch aus sich selbst zu den Kreaturen. Aber die Abgeschiedenheit bleibt in sich selbst. Nun aber kann kein Hinausgehen jemals so hoch stehen wie das Darinbleiben in sich selbst. Die vollkommene Abgeschiedenheit achtet auf nichts und neigt sich weder unter noch über eine Kreatur: sie will nicht unten noch oben sein; sie will so für sich selbst verharren, niemand zu Lieb und niemand zu Leid, und will weder Gleichheit noch Ungleichheit, noch dies noch das mit irgend einer Kreatur gemein haben, sie will nichts anderes als allein sein. Daher werden keinerlei Dinge von ihr belästigt.
Ich ziehe auch die Abgeschiedenheit allem Mitleid vor, denn das Mitleid ist nichts anderes, als dass der Mensch aus sich selbst heraus zu den Gebresten seines Mitmenschen geht und davon sein Herz betrüben lässt. Dessen steht die Abgeschiedenheit ledig und bleibt in sich selbst und lässt sich durch nichts betrüben. Kurz gesagt: wenn ich alle Tugenden betrachte, so finde ich keine so ganz ohne Fehler und so zu Gott führend wie die Abgeschiedenheit.
Ein Meister, namens Avicenna spricht: Die Stufe des Geistes, der abgeschieden ist, ist so hoch, das alles, was er schaut, wahr ist, und was er begehrt, wird ihm gewährt, und wo er gebietet, da muss man ihm gehorsam sein. Und ihr sollt das fürwahr wissen: wenn der freie Geist in rechter Abgeschiedenheit steht, so zwingt er Gott zu seinem Wesen; und könnte er formlos und ohne allen Zustand sein, so nähme er Gottes Eigenschaft an. Das kann aber Gott niemandem geben als sich selbst; daher kann Gott dem abgeschiedenen Geiste nicht mehr tun, als dass er sich ihm selbst gibt. Und der Mensch, der in so ganzer Abgeschiedenheit steht, wird so in die Ewigkeit verzückt, dass ihn kein vergängliches Ding bewegen kann, dass er nichts empfindet, was körperlich ist, und der Welt tot heisst, denn er empfindet und schmeckt nichts, was irdisch ist. Das meinte Sankt Paulus, als er sprach: »Ich lebe und lebe doch nicht, Christus lebt in mir.« Nun könntest du fragen, was denn die Abgeschiedenheit sei, wenn sie so edel an sich selbst ist? Nun sollst du erfahren, dass richtige Abgeschiedenheit nichts anderes ist als dass der Geist gegen alle Umstände, sei es Freude oder Leid, Ehre, Schande oder Schmach, so unbeweglich bleibt, wie ein breiter Berg gegen einen kleinen Wind. Diese unbewegliche Abgeschiedenheit bringt den Menschen in die grösste Gleichheit mit Gott. Denn dass Gott Gott ist, das hat er von seiner unbeweglichen Abgeschiedenheit, und davon hat er seine Reinheit und seine Einfachheit und seine Unwandelbarkeit. Will daher der Mensch Gott gleich werden, soweit eine Kreatur Gleichheit mit Gott haben kann, so muss er abgeschieden sein. Und du sollst wissen: leer sein aller Kreaturen ist Gottes voll sein, und voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein. Du sollst ferner wissen, dass Gott in dieser unbeweglichen Abgeschiedenheit vorweltlich gestanden ist und noch steht, und sollst wissen, als Gott Himmel und Erde erschuf und alle Kreaturen, das ging seine unbewegliche Abgeschiedenheit so wenig an, als ob er nie Kreaturen geschaffen hätte. Ich sage noch mehr: von allen Gebeten und guten Werken, die der Mensch in der Zeit wirken kann, wird Gottes Abgeschiedenheit so wenig bewegt, als ob nirgends in der Zeit ein Gebet oder ein gutes Werk geschähe, und Gott wird gegen den Menschen dadurch so wenig huldvoller oder geneigter, wie wenn das Gebet oder die guten Werke nicht vor sich gegangen wären. Ich sage noch mehr: als der Sohn in der Gottheit Mensch werden wollte und ward und die Marter erlitt, das ging die unbewegliche Abgeschiedenheit Gottes so wenig an, als ob er nie Mensch geworden wäre. Nun könntest du sagen: So höre ich wohl, dass alles Gebet und alle guten Werke verloren sind, wenn sich Gott ihrer nicht annimmt, und dass ihn niemand damit bewegen kann, und man sagt doch, Gott will um alle Dinge gebeten werden. Hier sollst du wohl auf mich achten und mich recht verstehn (wenn es dir möglich ist), dass Gott mit seinem ersten Blick (wenn wir von einem ersten Blick da reden wollen) alle Dinge ansah, wie sie geschehen sollten, und mit demselben Blick sah, wann und wie er die Kreaturen erschaffen sollte. Er sah auch das geringste Gebet und gute Werk, das jemand je tun würde, und sah an, welches Gebet und welche Andacht er erhören sollte; er sah, dass du ihn morgen eifrig anrufen und mit rechtem Ernst bitten wirst, und dieses Anrufen und Gebet wird Gott nicht morgen erhören, denn er hat es in seiner Ewigkeit gehört, bevor du Mensch wurdest. Ist aber dein Gebet nicht vernünftig oder ohne Ernst, so wird es dir Gott nicht jetzt versagen, denn er hat es dir in seiner Ewigkeit versagt. So hat Gott mit seinem ersten ewigen Blick alle Dinge angesehen und wirkt gar nichts um eines Warums willen, denn es ist alles ein vorgewirktes Ding.
Und so steht Gott allezeit in seiner unbeweglichen Abgeschiedenheit, während doch darum der Leute Gebet und gute Werke nicht verloren sind, denn wer recht tut, dem wird auch recht gelohnt. Philippus sagt: »Gott Schöpfer hält die Dinge in dem Lauf und der Ordnung, die er ihnen im Anfang gegeben hat.« Denn bei ihm ist nichts vergangen und auch nichts künftig, und er hat alle Heiligen geliebt, wie er sie vorhergesehen hat, ehe die Welt ward. Und wenn es dazu kommt, dass sich das in der Zeit zeigt, was er in der Ewigkeit angesehen hat, so wähnen die Leute, Gott habe sich eine neue Liebe beigelegt; und wenn er zürnt oder etwas Gutes tut, so werden wir gewandelt, er aber bleibt unwandelbar, wie der Sonnenschein den kranken Augen weh und den gesunden wohl tut, und bleibt doch für sich selbst unwandelbar derselbe Schein. Gott sieht nicht die Zeit, und in seinem Sehen geschieht auch keine Erneuerung. In diesem Sinne spricht auch Isidorus in dem Buch vom obersten Gute: Es fragen viele Leute, was Gott tat, ehe er Himmel und Erde erschuf, oder woher der neue Wille in Gott kam, dass er die Kreaturen schuf? und antwortete folgendes: Es stand nie ein neuer Wille in Gott auf, denn obwohl es richtig ist, dass die Kreatur nicht für sich selbst war, wie sie jetzt ist, so war sie doch verweltlich in Gott und seiner Vernunft. Gott schuf nicht Himmel und Erde, wie wir vergänglich sagen, dass sie wurden, sondern alle Kreaturen sind in dem ewigen Worte gesprochen. Nun könnte ein Mensch fragen: Hatte Christus auch unbewegliche Abgeschiedenheit, als er sprach: »Meine Seele ist betrübt bis in den Tod?« und Maria, als sie unter dem Kreuze stand? und man spricht doch viel von ihrer Klage: wie kann dies alles sich vertragen mit unbeweglicher Abgeschiedenheit? Hier sollst du erfahren, was die Meister sprechen, dass in einem jeden Menschen zweierlei Menschen sind: der eine heisst der äussere Mensch, das ist die Sinnlichkeit; diesem Menschen dienen fünf Sinne, doch wirkt er mit der Kraft der Seele. Der andere Mensch heisst der innere Mensch, das ist des Menschen Innerlichkeit. Nun sollst du wissen, dass jeder Mensch, der Gott liebt, die Kräfte der Seele in dem äussern Menschen nicht mehr anwendet, als die fünf Sinne zur Not bedürfen; und die Innerlichkeit wendet sich nur insoweit zu den fünf Sinnen, als sie ein Führer und Lehrer derselben ist und sie behütet, dass sie ihren Gegenstand nicht tierisch benutzen, wie manche Leute tun, die ihrer leiblichen Wollust nachleben wie die Tiere, die ohne Vernunft sind, und solche Leute sollten eigentlich mehr Tiere als Menschen heissen. Und die Kräfte, die die Seele überdies hat und den fünf Sinnen nicht gibt, gibt sie alle dem innern Menschen, und wenn der einen hohen, edeln Gegenstand hat, so zieht sie alle die Kräfte, die sie den fünf Sinnen geliehen hat, zu sich heran, und es heisst dieser Mensch dann von Sinnen und verzückt, weil sein Gegenstand ein unvernünftiges Bild ist oder etwas Vernünftiges ohne Bild. Und wisset, dass Gott von jedem Geistmenschen begehrt, dass er ihn mit allen Kräften der Seele liebt. Darum sprach er: »liebe deinen Gott von ganzem Herzen.« Nun gibt es manche Menschen, die verzehren die Kräfte der Seele ganz und gar in dem äussern Menschen. Das sind die Leute, die alle ihre Sinne und Gedanken auf vergängliche Güter richten und nichts von dem inneren Menschen wissen. Wie nun ein guter Mensch manchmal den äussern Menschen aller Kräfte der Seele beraubt, wenn sie eine hohe Aufgabe hat, so berauben tierische Leute den innern Menschen aller Kräfte der Seele, und gebrauchen sie für den äussern Menschen. Nun musst du wissen, dass der äussere Mensch in Tätigkeit sein kann, während der innere gänzlich derselben entledigt und unbeweglich steht. Nun war in Christus auch ein äusserer und ein innerer Mensch, und ebenso in unserer Frau, und alles, was Christus und unsere Frau je von äusseren Dingen redeten, das taten sie als äusserer Mensch, und der innere Mensch stand in einer unbeweglichen Abgeschiedenheit. Nimm dafür ein Ebenbild: Eine Tür geht in einer Angel auf und zu. Nun vergleiche ich das äussere Brett an der Türe dem äusseren Menschen, und die Angel dem inneren Menschen. Wenn nun die Tür auf und zu geht, so bewegt sich das äussere Brett hin und her, und die Angel bleibt doch unbeweglich an einem Fleck und wird darum nicht im geringsten verändert. In gleicher Weise ist es auch hier.
Nun frage ich, was die Aufgabe der reinen Abgeschiedenheit sei? Darauf antworte ich, dass weder dies noch das ihre Aufgabe ist. Sie beruht auf einem blossen Nichts, denn sie beruht auf dem Höchsten, worin Gott mit seinem ganzen Wirken kann. Nun kann Gott nicht in allen Herzen trotz all seines Willens etwas wirken. Denn obwohl Gott allmächtig ist, so kann er doch nur wirken, wenn er Bereitschaft oder Macht findet. Sein Wirken ist in den Menschen anders als in den Steinen; dafür finden wir in der Natur ein Gleichnis. Wenn man einen Backofen heizt und einen Teig von Hafer und einen von Gerste und einen von Roggen und einen von Weizen hineinlegt, so ist nur eine Hitze in dem Ofen, und doch wirkt sie nicht in allen Teigen gleich; denn der eine wird ein schönes Brot, der andere wird rauh und der dritte noch rauher. Daran ist nicht die Hitze schuld, sondern die Materie, die ungleich ist. Ebenso wirkt Gott nicht in allen Herzen gleich, sondern je nachdem er Bereitschaft und Empfänglichkeit findet. In den Herzen nun, in denen dies oder das ist, kann etwas sein, das Gott hindert aufs höchste zu wirken. Soll daher ein Herz Bereitschaft für das Allerhöchste haben, so muss es auf einem blossen Nichts beruhen, und darin ist auch die grösste Möglichkeit, die es geben kann. Nimm dafür ein Gleichnis aus der Natur. Will ich auf eine weisse Tafel schreiben, so kann etwas, das auf der Tafel geschrieben steht, noch so erhaben sein, es stört mich doch, weil ich nicht darauf schreiben kann; und wenn ich schreiben will, so muss ich alles auslöschen, was auf der Tafel steht, und die Tafel passt mir dann am besten zum Schreiben, wenn nichts darauf steht.
Ebenso ist es, wenn Gott aufs allerhöchste in mein Herz schreiben will, dann muss alles aus dem Herzen heraus, was dies oder das geheissen ist, und so steht es um das abgeschiedene Herz. Daher mag dann Gott aufs allerhöchste seinen obersten Willen wirken, und so ist des abgeschiedenen Herzens Aufgabe weder dies noch das. Nun frage ich aber: was ist des abgeschiedenen Herzens Gebet? Ich antworte: Abgeschiedenheit und Reinheit kann nicht bitten, denn wer bittet, der begehrt etwas von Gott, was ihm zu teil werde, oder was Gott ihm abnehmen soll. Nun begehrt aber das abgeschiedene Herz nach nichts und hat auch nichts, dessen es gerne ledig wäre. Darum ist es allen Gebets entledigt, und sein Gebet ist nichts anderes als mit Gott einförmig sein. In diesem Sinne können wir das Wort nehmen, das Dionysius über Sankt Pauls Wort spricht: »Es sind ihrer viel, die alle nach der Krone laufen, und sie wird doch nur einem zu teil.« Alle Kräfte der Seele laufen nach der Krone, und sie wird doch allein dem Wesen zu teil. Dazu also sagt Dionysius: Der Lauf ist nichts anderes als ein Abwenden von allen Kreaturen und ein Vereinigen mit der Ungeschaffenheit. Und wenn die Seele dazu kommt, dann verliert sie ihren Namen und zieht Gott in sich, dass sie an sich selbst zunichte wird, wie die Sonne das Morgenrot anzieht, dass es zunichte wird. Dazu bringt den Menschen nichts als reine Abgeschiedenheit. Hierher kann auch das Wort, das Sankt Augustin spricht, passen: Die Seele hat einen himmlischen Eingang in die göttliche Natur, wo ihr alle Dinge zunichte werden. Dieser Eingang ist auf Erden nichts anderes als reine Abgeschiedenheit. Und wenn die Abgeschiedenheit aufs höchste kommt, so wird sie aus Bewusstsein bewusstlos und aus Liebe lieblos und vor Licht finster. Darum können wir auch annehmen, was ein Meister spricht: Selig sind die Armen des Geistes, die Gott alle Dinge gelassen haben, wie er sie hatte, als wir nicht waren. Dass Gott in einem abgeschiedenen Herzen lieber ist als in allen andern Herzen, das merken wir daran: wenn du mich fragst, was Gott in allen Dingen suche, so antworte ich dir aus dem Buche der Weisheit, wo er spricht: »In allen Dingen suche ich Ruhe.« Es ist aber nirgends ganze Ruhe als allein in dem abgeschiedenen Herzen. Es kann sich aber kein Mensch für das göttliche Einfliessen anders empfänglich machen als dadurch, dass er mit Gott einförmig wird, denn je nachdem ein Mensch mit Gott einförmig ist, ist er des göttlichen Einfliessens empfänglich. Daher scheidet die Bilder ab und einigt euch mit formlosem Wesen, denn Gottes geistiger Trost ist zart, darum will er sich niemandem bieten als dem, der leiblichen Trost verschmäht.
Nun höret, vernünftige Leute allesamt: es ist niemand fröhlicher als wer in der grössten Abgeschiedenheit steht. Es kann keine leibliche oder fleischliche Lust ohne geistigen Schaden sein; wer darum im Fleisch ungeordnete Liebe sät, der ruft den Tod herbei; und wer im Geist ordentliche Liebe sät, der erntet im Geist das ewige Leben. Je mehr daher der Mensch vor dem Geschöpf flieht, um so mehr läuft ihm der Schöpfer nach. Daher ist Abgeschiedenheit das allerbeste, denn sie reinigt die Seele und läutert die Gewissen und entzündet das Herz und erweckt den Geist und spornt die Begierde und vergoldet die Tugend und lässt Gott erkennen und scheidet die Kreatur ab und vereint sie mit Gott; denn die von Gott getrennte Liebe ist wie das Wasser im Feuer und die mit ihm vereinigte Liebe ist wie der Waben im Honig. Nun passt auf, vernünftige Geister allesamt! Das schnellste Tier, das euch zur Vollkommenheit trägt, ist Leiden, denn es geniesst niemand mehr der ewigen Seligkeit als wer mit Christus in der grössten Bitternis steht. Es gibt nichts Galligeres als leiden und nichts Honigsameres als gelitten haben. Das sicherste Fundament, worauf diese Vollkommenheit beruhen kann, ist Demut, denn wessen Natur hier in der tiefsten Niedrigkeit kriecht, dessen Geist fliegt auf in das Höchste der Gottheit, denn Freude bringt Leid und Leid bringt Freude. Der Menschen Tun ist vierlerlei: der eine lebt so, der andere anders. Wer in dieser Zeit zum höchsten Leben kommen will, der nehme mit kurzen Worten aus dieser ganzen Schrift die Lehre, mit der ich schliesse:
Halte dich abgeschieden von allen Menschen, halte dich rein von allen eingezogenen Bildern, befreie dich von alledem, was Unfall, Haft und Kummer bringen kann, und richte dein Gemüt allzeit auf ein tugendhaftes Schauen, in dem du Gott in deinem Herzen trägst als stetes Ziel, von dem deine Augen niemals ablassen; und was andere Uebungen angeht, als Fasten, Wachen, Beten, die richte darauf als auf ihren Zweck und habe so viel davon, als sie dich dazu fördern können, so erreichst du das Ziel der Vollkommenheit. Nun könnte jemand sagen: wer könnte den unverwandten Anblick des göttlichen Vorbildes aushalten? Darauf antworte ich: niemand, der heutzutage lebt. Es ist dir allein darum gesagt, damit du weisst, was das Höchste ist, und wonach du trachten und begehren sollst. Wenn aber dieser Anblick dir entzogen wird, so soll dir, wenn du ein guter Mensch bist, zu Mute sein, als ob dir deine ewige Seligkeit genommen wäre, und du sollst bald zu ihm wiederkehren, damit er dir wieder werde, und du sollst allezeit auf dich selbst acht haben, und dein Ziel und deine Zuflucht soll darin sein, so sehr es dir möglich ist. Herr, gelobt seist du ewiglich. Amen.

4. Von der Ueberfreude

Wäre weder Hölle noch Himmelreich, dennoch wollte ich Gott, süsser Vater, dich und deine hohe Natur lieben, worin die Dreiheit in der Einheit steht. Seht, jetzt mögt ihr gerne hören von all dem Heimlichen der hohen Natur der Dreieinigkeit. Die Personen sind Gott in ihrer Persönlichkeit, Gottheit gemäss der Natur in der Einheit. Seht, jetzt mögt ihr hören, was Gott und Gottheit ist. Das ist ein Unterschied; den gewahrt meine Seele am Widerschein der hohen Einheit. Die leuchtet in ihr eigenes Wesen ganz ohne Unterschiedenheit. Darin hat sie all ihre Einheit verschlossen und doch mit Unterscheidung der hohen Persönlichkeit. Der Fluss ist ursprünglich, in dem die Einheit lebt; das einig Eine, das in sich selbst in dunkler Stille schwebt, ist ohne ein Bedürfen. Niemand kann es verstehn, doch in seiner Selbstheit ist es offenbar.
Das Licht ist das erste in der Ursprünglichkeit, das den Geist hinausführt aus seinem Wesen in die Verborgenheit, allbleibend, eingezogen, in die Dunkelheit versunken. Allda wird er verlocket, allda wird er des Lichtes Dunkelheit entkleidet, allda verliert er beide in der Abgründlichkeit, allda wird das verborgene Wesen, der Geist, in der Einheit entfremdet, und doch ist’s sein Leben.
O grundlos tiefer Abgrund, in deiner Tiefe bist du hoch, in deiner Höhe tief! Wie kann das sein? Das ist uns im Abgrund deiner Tiefe verborgen. Doch sagt Sankt Paulus, es soll uns klar werden. In dieser Klarheit ist der Geist über seine Selbstheit, ihn hat die Dreieinigkeit an sich gezogen. Da stirbt der Geist allsterbend im Wunder der Gottheit, denn er hat in der Einheit keine Unterschiedenheit; das Persönliche verliert seinen Namen in der Einheit. Wo der Geist in der Einheit auf nichts beruht, da verliert er in göttlicher Art jedes Mittel. Des Lichts wie der Dunkelheit ist er entledigt, der Materie wie der Form. Ein Fünklein, so nackt, wie es geschaffen ist, ein Nichts von seinem Nichts, das wird vom Etwas seines Nichts eingezogen. Eben das Nichts ist Nacktheit im Wesen der Person, das den Geist wegführt und in die Einheit schweben lässt. In dem Unbegreifen der hohen Einheit, die alle Dinge ausser sich in ihrer Selbstheit vernichtet, ist Eins ohne Unterschiedenheit, und doch ein Etwas, das aus ihrer Selbstheit geschaffen ist. Dieses Eine, das ich hier meine, ist wortlos. Eins und Eins vereint leuchtet da nackt in nackt. Wo die zwei Abgründe in einer Gleichheit schweben, gegeistet und entgeistet, da ist ein hohes Wesen; wo sich Gott entgeistet, da ist Dunkelheit in einer unerkannten bekannten Einheit. Das ist uns verborgen in der Tiefe seiner Stille. Alle Kreaturen ergründen nicht das Etwas. Dass wir uns selbst entsinken, dess freuen wir uns heute, und danach sollt ihr trachten immerdar, ihr Leute, und in das Höchste eilen, das ist die Ueberfreude.

5. Die Seele auf der Suche nach Gott

Die Gott um Lohn mit äussern Werken dienen, denen soll mit geschaffenen Dingen wie Himmelreich und himmlischen Dingen gelohnt werden. Die aber Gott mit innerlichen Werken dienen, denen soll mit dem gelohnt werden, was ungeschaffen ist, das heisst mit den Werken der heiligen Dreifaltigkeit!
Nun pass auf. Zerginge das Feuer, so wäre kein Licht; zerginge die Erde, so wäre kein Leben; zerginge die Luft, so wäre keine Liebe; zerginge das Wasser, so wäre kein Raum. Darum ist Gott nicht Licht noch Leben noch Liebe noch Natur noch Geist noch Schein noch alles, was man in Worte fassen kann. Es ist Gott in Gott, und Gott ist aus Gott geflossen, und Gott befindet sich in sich selbst als Gott und befindet sich in all seinen Kreaturen als Gott und befindet sich insbesondere in einer edeln Seele. Der Vater ist allgewaltig in der Seele, der Sohn allweise, der heilige Geist allliebend in der Seele und er liebt alle Kreaturen in gleicher Liebe. Er zeigt sich ihnen aber ungleich, und dazu ist die Seele geschaffen, dass sie es erkennen soll, wie es ist, und sich in die Reinheit des grundlosen Brunnens göttlicher Natur versenken soll und da wie eins werden mit Gott, so dass sie selbst sagen könnte, sie sei Gott. So abgezogen sollte die Seele in sich selbst sein, dass sie keine gemachten oder genannten Dinge in sich bilden kann, und sollte so entblösst in sich selbst sein, wie Gott aller Namen entblösst ist, und sollte sich über sich selbst in ihren Gott erheben und sich mit ihrem Gott für ihren Gott halten; denn Gott ist weder weiss noch schwarz noch gross noch klein; er hat weder Raum noch Vergangenheit noch Zukunft und die Seele ist ihm nur insofern gleich als sie sich über alle Geschaffenheit hinwegsetzen kann.
Die Seele ist eine Kreatur, die alle genannten Dinge empfangen kann, und ungenannte Dinge kann sie nur empfangen, wenn sie so tief in Gott empfangen wird, dass sie selbst namenlos wird. Und das kann dann niemand wissen, ob Gott sie oder sie Gott ergriffen habe. Dionysius sagt, dass Gott sich selbst in ihr begriffen habe und sie so ganz in sich zieht, dass sie in sich selbst nichts mehr ist als Gott. Zu dieser Erkenntnis ist die Seele geschaffen, dass sie mit einem Erguss göttlicher Herrlichkeit in den Grund des grundlosen Brunnens zurückfliessen soll, woher sie geflossen ist, und erkennen soll, dass sie an sich selbst nichts ist. Das Wahrste, das uns zugehört, das ist, dass wir erkennen, dass wir von uns selbst aus nichts sind, und dass wir nicht wir selbst sind.
Gott hat alle Dinge für sich selbst getan und hat die Seele sich gleich gemacht, damit sie über allen Dingen, unter allen Dingen, in allen Dingen und ausserhalb aller Dinge sein könne, und doch ungeteilt in sich selbst bleibe. Doch steht sie auf höherer Stufe, wenn sie in der Wüstung verharrt, wo sie nichts ist und wo kein Werk ist. Sankt Dionysius sagt: Herr, ziehe mich in die Wüste, wo du nicht gebildet bist, damit ich in deiner Wüste alle Bilder verliere. Wenn die Seele so über alle Dinge hinausgegangen ist, so spricht sie: Herr, ziehe mich in die Gottheit, wo du nichts bist, denn alles, was etwas ist, halte ich nicht für Gott. Ihren freien Willen gibt sie Gott und wirft sich in ihre Nacktheit und spricht: Herr, ziehe mich in die Finsternis deiner Gottheit, auf dass ich in der Finsternis all mein Licht verliere: denn alles, was man offenbaren kann, halte ich nicht für Licht. Sie wird so mit Gott vereinigt, dass sie mehr Gott wird, als sie an sich selbst ist. Etwas von Gott ist Gott ganz und gar, und etwas von ihm birgt sein ganzes Wesen. Darum ist er in der niedrigsten Kreatur ebenso vollkommen wie in der obersten. Ein Gleichnis: Der kleinste Zapfen am Fass verschliesst alles was darin ist, ebenso gut wie der grösste. Darum ruht sein Begreifen auf seiner väterlichen Kraft. Er begreift sich in sich selbst in allen Kreaturen. Und das Begreifen hat er verhüllt mit dem Gewande der Dunkelheit, dass ihn keine Kreatur so begreifen kann, wie er sich selbst in sich selbst begreift. Was die Seele im Licht begreift, das verliert sie in der Dunkelheit. Und doch trachtet sie nach der Dunkelheit, weil sie das Dunkel wegsamer dünkt als das Licht. Allda verliert sie sich und das Licht in der Dunkelheit.
Die Kraft, die die Seele zum Ziel bringt und sie aus sich selbst ohne ihr Zutun hinausführt, ist Gott. Ich berühre das Münster, ich führe es aber nicht hinweg. Dass wir Gott Materie, Form und Werk beilegen, geschieht um unserer groben Sinne wegen. Die Meister sagen: ein Licht erleuchtet nicht und hat weder Form noch Materie und ist doch Kreatur. Wer Gott kennen will wie er ist, der muss aller Wissenschaft entledigt sein. Wo Gott weder Zeit noch Wesen hat, da ist er ungenannt.
Nun pass auf, wann der Mensch alle Kreatur ist.
Wenn er ihrer aller Kraft in sich hat. Wenn der Mensch mit den äussern Sinnen alle körperlichen Dinge erkennt und sich dann abscheidet und doch ohne Berührung darin bleibt, und wenn er mit den innern Sinnen alle geistigen Dinge erkennt und sich dann ebenfalls abscheidet und ohne Berührung darin bleibt: dann erst ist der Mensch alle Kreatur und dann erst ist er zu seiner Natur gekommen und ist bereit in Gott zu gehn. Dass wir Gott nicht finden, das kommt daher: wir suchen ihn mit Gleichnissen, während er doch kein Gleichnis hat. Alles, was die heilige Schrift beibringen kann, ist mehr ihm ungleich als ihm gleich. Darüber sagt Origines, dass die Seele Gott erforschen will, das kommt von ihrem vielen Beobachten. Erkennte sie sich selbst, sie erkennte auch ihren Gott. Dass sich die Seele bildet und ihren Gott bildet, das kommt bei ihr davon, dass sie zu viel beobachtet. Wenn sie in die Gottheit versinkt, da geht ihr alles Beobachten verloren.
Darüber sagt Dionysius zu Timotheus: Mein Freund Timotheus, wirst du des Geistes der Wahrheit gewahr, so geh ihr nicht mit menschlichen Sinnen nach, denn er ist sehr geschwinde: er kommt als ein Sausen. Man soll Gott suchen mit Fremdheit, mit Vergessenheit und mit Unsinnen, denn die Gottheit hat die Kraft aller Dinge in sich und hat in keinen Dingen ihres Gleichen. Dionysius sagt, die Seele hat ihre Kräfte auf ihr nacktes Wesen geworfen, so dass die oberste Kraft allein wirkt. Darüber sagt ein Meister: wenn die oberste Kraft über die Werke die Oberhand gewinnt, so gehen die andern alle in sie und verlieren ihr Werk, und dann steht die Seele in ihrer richtigen Ordnung und in ihrem nackten Wesen, und ihr nacktes Wesen ist ihre emporgezogene Klarheit, die hat aller Dinge Kraft in sich. Darum sagt ein Meister: erkennte die Seele sich selbst, so erkennte sie alle Dinge.
Gott fliesst in sich selbst zurück, so dass er aller Kreaturen so wenig achtet als er tat wie sie nicht waren. So soll auch die Seele tun. Diese soll mit dem Menschtum die Person des Sohns begreifen, und mit der Person des Sohns den Vater, und den heiligen Geist in ihnen beiden, und sie beide in dem heiligen Geist, und soll mit der Person des Vaters das einfache Wesen begreifen und mit dem Wesen den Abgrund und soll in dem Abgrund versinken ohne Materie und Form. Materie, Form, Verstand und Wesen hat sie in der Einheit verloren, denn sie ist an sich selbst zunichte geworden: Gott wirkt alle ihre Werke, er hält sie in seinem Wesen und führt sie in seiner Kraft in die blosse Gottheit. Da fliesst sie mit der Gottheit in all das, worin Gott fliesst. Sie ist aller Dinge Ort und sie hat selbst keinen Ort. Dies ist der Geist der Weisheit, die weder Herz noch Gedanken hat.

6. Von der Ueberfahrt zur Gottheit

Wie die Sonne scheint, so sieht das Auge; dann ist das Auge in der Sonne, und die Sonne im Auge. Wohlauf, mein Freund, nun merke, was ich meine, denn ich traue mich kaum, meine Meinung zu schreiben oder zu reden, weil in den Personen die göttliche Natur ein Spiegel ist, wohin nie Sprache kommt. Soweit sich die Seele über die Sprache erheben kann, so weit macht sie sich dem Spiegel gleich. In dem Spiegel sammelt sich nur Gleiches.
Als ich, Herr, in dir war, da war ich unbedürftig in meinem Nichts, und dein Angesicht, dass du mich ansahst, das machte mich bedürftig. Wenn das ein Tod ist, dass die Seele von Gott scheidet, so ist auch das ein Tod, dass sie ans Gott geflossen ist, denn jede Bewegung ist Sterben. Daher sterben wir von Zeit zu Zeit, und die Seele stirbt allsterbend in dem Wunder der Gottheit, da sie göttliche Natur nicht erfassen kann. In dem Nichts stürzt sie hinüber und wird zunichte. In diesem Nichtsein wird sie begraben und mit Unerkenntnis wird sie vereint in den Unbekannten und mit Ungedanken wird sie vereint in den Ungedachten und mit Unliebe wird sie vereint in den Ungeliebten. Was der Tod erfasst, das kann ihm niemand mehr nehmen: er scheidet das Leben vom Körper und scheidet die Seele von Gott und wirft sie in die Gottheit und begräbt sie in ihr, so dass sie allen Kreaturen unbekannt ist. Da wird sie als Verwandelte im Grab vergessen, und sie wird unbegreiflich allen Begreifern. Wie Gott unbegreiflich ist, so unbegreiflich wird sie. So wenig man die Toten begreifen kann, die hier vom Körper sterben, so wenig kann man die Toten begreifen, die in der Gottheit tot sind. Diesen Tod sucht die Seele ewiglich. Wenn die Seele in den drei Personen getötet wird, dann verliert sie ihr Nichte und wird in die Gottheit geworfen. Da findet sie das Antlitz ihres Nichts. Darüber spricht unser Herr: »Meine Unbefleckte, du bist gar schön,« und von der Unbegreiflichkeit seiner Schönheit spricht sie: »Du bist noch schöner.« Da blickt sie in die geheimen Künste Gottes, dass Gott wunderbarerweise das Nichts bedürftig gemacht hat, und es hat ihm doch nichts geschadet Sankt Dionysius sagt: Das ist kein Wunder, dass Gott die Seelen mit seinem Angesicht bedürftig gemacht hat, wo doch die Sonne ohne weiteres den Maden und den Würmern im faulen Holze Leben gibt. So sieht die Seele Gottes Grosse an und ihre Kleinheit, und wirft sich aus dem Herzen Gottes und aus allen Kreaturen, und bleibt bei ihrem blossen Nichts und die göttliche Kraft enthält sie in ihrem Wesen. Sankt Dionysius sagt: Alle Dinge stehn nach dem Gebot Gottes auf Nichts. Und wieder sagt er: Der Blick, der aus Gott in die Seele geht, ist ein Beginn des Glaubens, dass ich glaube, was mir nie offenbart ward. So weit als sich die Seele mit dem Glauben in das unbekannte Gut versenken kann, so weit wird sie eins mit dem unbekannten Gut und wird sich selbst und allen Kreaturen unbekannt. Sie weiss wohl, dass sie ist; aber sie weiss nicht, was sie ist. Wenn sie alles das erkennt, was zu erkennen ist, erst dann kommt sie hinüber in das unbekannte Gut Diese Ueberfahrt ist manchen Erkennern verborgen. Die Seele ist ihrer Natur nach dergestalt: wo sie irgend ist, da ist sie ganz und gar, in jedem Glied ist sie ganz und gar, und das kommt daher: wo irgend Natur ist, da ist sie ganz und gar. Darum ist die Gottheit an allen Orten und in allen Kreaturen und in jeder ganz und gar.
Die ungenaturte Natur naturt nur insoweit als sie sich naturen lässt. Sonst naturt sie nicht, der Vater naturt seinen Sohn in der genaturten Natur, und doch ist der Vater der ungenaturten Natur so nahe wie der genaturten Natur, denn sie ist eins mit ihm. Der Vater ist in der ungenaturten Natur allein und auch der erste in der genaturten Natur. Und in der genaturten Natur ist der Sohn mit dem Vater naturend, und der Sohn naturt den heiligen Geist, und der heilige Geist ist mit dem Vater und dem Sohne in der genaturten Natur und er naturt nicht. In der ungenaturten Natur sind sie eins, und die genaturte Natur unterscheidet die Personen, und die Personen sind so ewig in ihren Personen, wie die ungenaturte Natur in ihrer Natur ist, und die genaturte Natur ist so ewig an sich, wie die ungenaturte Natur, und dies ist nichts als ein Gott und drei Personen, die naturen die Kreatur, jede in ihrer Natur, und geben ihnen Kraft und Werk, wie es ihnen am besten bekommt. Eine jede Kreatur hat ihre Natur so lieb, dass sie keine andere haben wollte. Ein Meister spricht: Könnte Gott von Reue ergriffen werden, so reute ihn, dass er nicht allen Kreaturen göttliche Natur geben konnte.
Gott ist an sich selbst ein einfaches Gut und ungeteilt. Alle Namen, die die Seele Gott gibt, nimmt sie aus sich selbst. Er ist dreifaltig und doch eins und allen Kreaturen gemein und er ist den verbrannten Geistern und denen, die im Brande erloschen und in ihm zunichte geworden sind, eine einfache Substanz.
Selig ist die Seele, die sich hinüberschwingt, um alle Dinge in der blossen Gottheit zu empfangen. Die Seele soll begraben werden im Angesichte Gottes, sie soll in den Himmel gezogen werden, wo die drei Personen in der Einheit ihrer Natur darin wohnen. Das ist die verborgene Gottheit, über die man nicht sprechen kann. Selig sind, die die Ueberfahrt machen: denen werden alle Dinge, die doch allen Kreaturen unbekannt sind, in der Wahrheit bekannt.
Die Kreatur hat einen Eingang in Gott, woran ihr Wesen liegt, und sie wirkt in der Kraft, die sie bewegt, von Nichts zu Etwas zu kommen. Nun sagt Sankt Paulus und auch Sankt Augustin: »Wie ist mir geschehen, dass ich von Nichts zu Etwas geworden bin, und von einem Wurme Gott und von einer Kreatur Schöpfer?« Die Seele soll so in Gott vereint sein, dass es ihr vorkommt, es sei nichts mehr als Gott allein, und Gott schaffe nie mehr eine Kreatur als sie allein. Die Seele, die diese Ueberfahrt tut, die kommt in eine Ruhe aller Dinge. Sie ist Gott, wie er an sich selbst ist. Darüber spricht Christus selbst: »Ich bin euch Mensch gewesen, und wenn ihr mir nicht Gott seid, so tut ihr mir unrecht.« Gott ist Mensch geworden, damit wir Gott werden. Gott war mit göttlicher Natur in der menschlichen Natur verborgen, so dass man da nichts erkannte als einen Menschen. So soll sich die Seele in göttlicher Natur verbergen, so dass man an ihr nur Gott erkennen kann. Gott ist nicht Natur, wie die Kreatur ist, die das an sich hat, was eine andere nicht hat. Wer ein Bäcker und auch ein Brauer wäre, von dem könnte man nicht sagen, er sei allein ein Brauer, weil er auch ein Bäcker wäre. So ist Gott aller Naturen Natur, weil er aller Naturen Natur unzerstückt in sich hat. Er ist Licht aller Lichter, er ist Leben der Lebenden, er ist Wesen der Wesenden, er ist Sprache der Sprechenden. Darum ist er aller Naturen Natur. Darüber sagt Sankt Dionysius: Er kann deshalb nicht eine Natur heissen, weil er einfach ist und nichts seines Gleichen ist. Und ferner sagt er: Man kann Gott nur mit Unerkenntnis erkennen. Wenn Gott in die Seele kommt, so kommt er mit allen Dingen in sie. Allein wenn Gott die Dinge einfach in sich hat, so hat sie die Seele doch sprachlich mit Unterscheidung; Teufel und Engel und alle Dinge.
So hat die Seele das Vermögen, alle Dinge in Gott zu empfangen, und sie erkennt, was Gott in ihnen ist und was sie in Gott sind, und sie schwingt sich auf in die Einfachheit über alle Dinge in die Unerkenntnis. Darüber sagt Sankt Dionysius, das sei Herrschaft, dass man über niedere Dinge hinwegsteige und über die, die daneben sind, und sie in die höchsten bringe.
Darüber spricht Christus: »Die mir folgen, die will ich dahin bringen, wo ich bin.« Der Vater spricht sich in dem Sohn in die Seele. Denn der Sohn, das Wort, ist des Vaters, so offenbart der Vater sich der Seele in dem Worte, weil er in seiner göttlichen Natur keine Gestaltung hat. Und ebenso spricht sich die Seele in demselben Worte in den Vater zurück, weil sie keine Gestaltung hat in ihrem Nichts, darum lässt sie ihr Etwas im Worte und wirft sich ungestaltet in den Ungestalteten. Die Gottheit ist ein nacktes, einfaches Ding, das aller Dinge Kraft in sich hat über den Personen, und sie kann sich niemandem hingeben und niemand kann sie völlig so empfangen, dass sie allein in ihm bestehe. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit hat alle Dinge. Darum sind die drei Personen in der Gottheit, die die Gottheit offenbaren, jede von ihnen der andern und der Kreatur insoweit als sie davon empfangen kann. Der Vater offenbart sich die Gottheit selbst und offenbart sie seinem Sohn, und der Vater und der Sohn offenbaren sie dem heiligen Geist, und die drei Personen offenbaren sie den Kreaturen, und die Gottheit spielt mit der Sprache und vor der Sprache und über der Sprache, und die Sprache kann sie nicht erfassen. Und wären nicht die drei Personen mit ihrer Unterschiedenheit in der Gottheit, so wäre die Gottheit nie offenbart worden und sie hätte nie Kreaturen geschaffen. Darum sind die ewigen Werke eine Ursache der Kreatur. Die Offenbarung nimmt die Gottheit von den Dingen, die niedriger sind als sie.
Die allergrösste Vollkommenheit an den Kreaturen ist mangelhaft. So geschieht es manchmal, dass der Mond sich vor die Sonne stellt und den Sonnenschein ganz und gar empfängt; man sagt dann, die Sonne sei verschwunden. So ist ein Stern, der wirft seine Kraft in den Mond und entzieht ihn der Sonne; die Sonne nimmt dann von den Dingen, die unter ihr sind, ihr Licht.
Wenn so die Seele in das reine Wesen der Gottheit kommt, so erkennt sie alle Dinge bis auf die niedrigsten Kreaturen; so leuchtet sie sich selbst, und alle Dinge in ihr, und erkennt in der Gottheit göttliche Natur und in dem Unterschied der Personen verliert sie ihren Namen, und die drei Personen verlieren ihren Namen in der Einheit, und alles was die Einheit umfassen kann, verliert seinen Namen darin. Dann sinkt die Seele nichtswärts dahin und alles soll dem Nichts der Gottheit sich nähern und die Kräfte sollen mitkommen. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit ist zunichte geworden. Damit meint er, dass die Seele mit ihrem nackten Wesen den Kräften entgangen ist. Dann haben die Kräfte die Gottheit verloren und auch ihr blosses Wesen der Gottheit in den Personen und in den Kräften, und die Kräfte haben ein Nachfolgen in das Wesen und sie widerstehen dem Sträuben der Dreieinigkeit. Da verliert die Liebe ihren Namen und alle Dinge im Nichts der Gottheit, da ist die Seele in ihr Etwas hineingeflossen. Im Nichts der Gottheit hat der Vater seine Vollkommenheit, und die drei Personen ihre Einheit, und sie geben allen Kreaturen ihre Vollkommenheit in ihr geschaffenes Etwas, und die Seele fliesst in ihrem Etwas im Nichts der Gottheit durch alle Dinge, und sie berührt sie doch nicht im Etwas ihres Wesens. Darüber sagt Sankt Dionysius, dass die Seele nicht berührt werde an ihrem Nichts im Nichts der Gottheit, und dass die Seele auch die Gottheit nicht an ihrem Nichts berühre. Da ist sie so gross,…. dass sie gleich ihm in einem Lichte fliesst. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit ist zunichte geworden, weil die Kräfte der Seele sie nicht erfassen können.

7. Vom Zorn der Seele

Die liebende Seele wird zornig von ihrer Selbsterkenntnis. Sie hat ein Antlitz empfangen gar kräftiglich und ist rot und zornig wegen dessen, was über ihr geblieben ist, das unerreichbar in Gott zurückbleibt, dass sie alles das nicht ist, was Gott von Natur ist, und dass sie alles das nicht hat, was Gott von Natur hat.
Nun sagen die Meister, das sei auch ein arger Zorn, wenn ein Freund seinen Freund selbst und alles was er hat, besitzen will. Die Seele sagt, ihr Zorn sei so grenzenlos, dass er sich nicht mit ihr versöhnen könne. Das Band der Liebe ist ihr allzu stark. Sie spricht: Ach, wer kann mich trösten? Mein Unglück ist gar zu gross! Wäre ich Schöpfer einfach ohne Anfang und ohne Ende, und hätte ich die Kreaturen geschaffen, und wäre er Seele wie ich bin, so wollte ich aus all diesem Wesen herausgehn und wollte sie hereingehn lassen um Gott zu sein, und ich wollte Kreatur werden; und würde das Gott stören, dass er sein Wesen von mir hätte, so wollte ich, dass er mich vertilge, und wollte lieber zunichte werden, damit er nur nicht von mir gestört würde. Wenn aber das so ist wie jetzt, dass alles, was geschaffen ist, ein bisschen ewiges Wesen in menschlicher Natur hat und darin ewig stehen bleiben muss, so weiss ich nicht, wohin ich mich wenden soll, um einen Platz zu finden. Deshalb neige ich mich zurück in mich selbst, da finde ich den schlechtesten Platz, noch schnöder als die Hölle, denn meine Mängel treiben mich selbst hinaus. Aber ich will mich doch nicht aufgeben. Hierher will ich mich setzen und hier innen will ich wohnen, und ich begehre, Herr, dass du niemals mehr an mich denkst, und allen Kreaturen verbietest, sie sollen mich nimmer trösten, und allen meinen Kräften verbietest, es soll keine mehr vor dein Antlitz kommen, damit ich dich nicht störe.
Der dritte Zorn der Seele ist darüber, dass sie Gott sein wollte, und darüber, dass nirgends eine Kreatur sei, wie Gott in seiner Ewigkeit war, bevor er Kreaturen erschuf, wodurch sie die göttliche Natur in der Einheit geniessen könnte, wie er damals tat. Doch so sei ihm seine Liebe abhanden gekommen, denn es ist guten Dinges Art, dass es sich mitteilt. Der vierte Zorn ist, dass sie das reine Wesen rein sein wollte, und dass es also weder Gott noch Kreatur geben solle. Sie fragt, was denn die drei Personen in der Gottheit sollten und was die Kreaturen alle sollten.
[Doch sagt sie, es könnte keine Kreatur ohne ihr Werk sein. Darum müssten die drei Personen in der Gottheit sein, und sie sind Ursache der Kreaturen. Gott hat Gott erhoben: die Kreaturen, die er geschaffen hat, könnten ihn nicht erheben. Alles was die Kreaturen Gott tun, gehört ihnen selbst: das Lob, das sie Gott geben können, ist ihr eigenes.

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